Christian Holz-Rau

Integrierte Verkehrsplanung –

Eine lange Geschichte

1.  Einleitung

Die Hoffnungen auf die Lösung der Verkehrsprobleme durch eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur haben sich nicht erfüllt und können sich nicht erfüllen. Hieraus und aus der zunehmenden Bedeutung von Schutzzielen resultiert die Forderung nach einer ‘Integrierten Verkehrsplanung’, die, allerdings mit nur begrenztem Erfolg, bereits in den 1960er gestellt wurde (Buchanan 1963, Sachverständigenrat 1965).

Zunächst zu den Zielen und den verkehrspolitischen Reaktionen:

 

·     Mit der zunehmenden Motorisierung seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stand die Leistungsfähigkeit der Straßennetze, die ‚Leichtigkeit des Verkehrs’ im Vordergrund der Verkehrspolitik und der Verkehrsplanung. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur war und ist die zentrale Reaktion auf dieses ‚Verkehrswachstum’.

·     Das zentrale Schutzziel seit den fünfziger Jahren war die Reduzierung der tödlichen Unfälle. Immerhin starben im Jahr 1970 (in den Grenzen der damaligen Bundesrepublik) ca. 20.000 Menschen im Straßenverkehr. Verkehrspolitische Beiträge zur Erhöhung der Verkehrssicherheit waren unter anderem Tempo 50 innerorts (1957), Tempo 100 außerorts (1974, Ausnahme Bundesautobahnen), die Verpflichtung zum Einbau und später (höchst umstritten) zum Anlegen von Sicherheitsgurten und mehrmalige Senkungen der Promillegrenzen. Hinzu kam der Ausbau der Straßennetze, der allerdings nicht immer zu einer Erhöhung der Verkehrssicherheit beitrug, und das Lernen aller Verkehrsteilnehmer. So starben im Jahr 2001 „nur“ noch 7.000 Menschen auf Deutschlands Straßen.

·     Steigende Belastungen durch den motorisierten Individualverkehr (MIV) führten zu höheren Abgasbelastungen in den Städten. Die daraufhin verschärften Grenzwerte für die Kohlenmonoxidemissionen konnten durch Veränderungen im Verbrennungsprozess eingehalten werden, ließen jedoch die (für weitgehend unschädlich gehaltenen) Stickoxidemissionen ansteigen.

·     Die Stickoxidemissionen wurden anschließend als wesentliche Ursache des Waldsterbens erkannt. Als Reaktion wurden die Emissionsgrenzwerte verschärft, ein Prozess der sich mit jeweils neuen EURO-Normen fortsetzt. Dies führte zur Einführung des Drei-Wege-Katalysators bei Pkw. Dabei stellt das Waldsterben die erste negative Folgewirkung des Kraftfahrzeugverkehrs dar, bei der Ort und Zeitpunkt der Wirkung nicht mehr mit Ort und Zeitpunkt der Verursachung übereinstimmen. Entsprechend wurden Gegenmaßnahmen durch langwierige Expertenstreits über Ursache und Wirkung verzögert.

·     Die Trennung der Orte und Zeiten von Ursache und Wirkung gilt für die klimawirksamen Emissionen in noch stärkerem Maße. Die klimawirksamen Kohlendioxidemissionen werden allerdings nach wie vor nicht durch Grenzwerte geregelt. Man verlässt sich bisher auf eine Selbstverpflichtung der Automobilindustrie zur Senkung des Flottenverbrauchs bei Neuwagen.

 

Die hier skizzierten verkehrspolitischen Reaktionen sind durchaus eine Erfolgsgeschichte. Sie beseitigten jedoch nicht alle Probleme, die vom Verkehr ausgehen. Aufgrund des kontinuierlichen ‚Verkehrswachstums’, vor allem der Zunahme der Distanzen und deren überwiegender Bewältigung mit Pkw und Lkw, ist der Verkehrssektor zur Zeit der einzige Bereich mit nach wie vor steigenden Kohlendioxidemissionen. Gleichzeitig entwertet der Kraftfahrzeugverkehr die Städte als Wohnort, trägt somit zur Abwanderung der Wohnbevölkerung aus den Städten ins Umland und letztlich zur weiteren Abhängigkeit vom Pkw bei. An dieser Stelle befindet sich die Trennlinie zwischen einer sektoralen und einer integrierten Verkehrsplanung:

 

·     In Abgrenzung zur herkömmlichen Verkehrsplanung versteht sich die integrierte Verkehrsplanung verkehrssystemübergreifend. Anstelle der Fachplanungen für den motorisierten Individualverkehr und für den Öffentlichen Verkehr (ÖV) -  Fußgänger und Radfahrer hatte man vorher ohnehin kaum zum Verkehr gezählt – tritt eine Verkehrsplanung, die alle Verkehrsmittel gleichzeitig betrachtet.

·     Zusätzlich stellt sich die Forderung nach einer integrierten ‚Raum- und Verkehrsplanung’, nach einer Planung, die die Siedlungsstruktur und die Verkehrsangebote miteinander entwickelt.

 

Dabei gibt es jedoch keinen Schnitt zwischen einer sektoralen und einer integrierten Verkehrsplanung. Vielmehr koexistieren beide Ansätze:

Insbesondere die Bundesverkehrswegeplanung, als wichtigste investive Planung des Bundes, verfährt nach wie vor sektoral. Grundlage der Bundesverkehrswegeplanung ist eine bundesweite Verkehrsprognose, die unabhängig von den später konkretisierten Maßnahmen ist. Die Entwicklung und Bewertung der einzelnen Maßnahmen bezieht sich allein auf das einzelne Investitionsvorhaben, ohne dabei z. B. Verlagerungseffekte zwischen Straße und Schiene zu berücksichtigen.

Die Verkehrsentwicklungspläne vor allem der Kommunen haben dagegen diesen Schritt weitgehend vollzogen. Die Verkehrsprognosen werden als verkehrsträgerübergreifende Wirkungsprognosen erstellt, berücksichtigen also bestehende Verlagerungspotenziale zwischen z. B. dem MIV und ÖV. Allerdings erscheinen viele Prognosen bei genauerem Hinsehen als zu optimistisch. Zum Einen überschätzen die angewandten Prognose- oder Szenariotechniken die erhofften Wirkungen, zum Anderen tun sich in vielen Kommunen zwischen Planung und Realisierung erhebliche Lücken auf, in der Regel zu Gunsten MIV. So werden insbesondere Maßnahmen, die die Attraktivität des MIV senken, später nicht realisiert.

2.  Integrierte Verkehrsplanung – Was tun?

Eine weitere Steigerung der zurückgelegten Entfernungen und die immer energieintensivere Nutzung besonders energieintensiver Verkehrsmittel ist mit den formulierten Zielen einer nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar.  Nur konsequente Anstrengungen können einem weiteren Zuwachs der Distanzen und der MIV-Nutzung entgegenwirken. Eine kritische Bestandsaufnahme der drei Strategien ‘verträglicher abwickeln = sicherer, leiser, sparsamer...’, ‘Verkehr verlagern = vom motorisierten Individualverkehr (Pkw und Lkw) zum Umweltverbund’ und ‘Verkehr vermeiden = Distanzen reduzieren’ verdeutlicht gleichzeitig:

 

·     Konzepte zur verträglicheren Abwicklung des Verkehrs erzielen bisher nur lokale und teilweise temporäre Erfolge. So gibt es zwar inzwischen ein Drei-Liter-Auto. Der Trend der Automobilentwicklung führt jedoch nach wie vor zu größeren und schwereren Fahrzeugen. So wog z. B. der  erste VW Polo 1975 nur 700 kg, der neue Polo je nach Ausstattung 980 kg und mehr. Damit werden trotz technischer Fortschritte kaum Kraftstoffeinsparungen realisiert.

·     Der Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf verträglichere Verkehrsmittel, oder besser eine Reduzierung des weiteren Zuwachses im MIV, ist durch die bisher konsensfähigen Angebotsverbesserungen allein kaum zu erreichen. Erzielte Fahrgastzuwächse bei Angebotsverbesserungen im ÖV resultieren nur teilweise aus dem gewünschten Umstieg vom MIV auf den ÖV. Einschränkungen im motorisierten Individualverkehr sind erforderlich, aber werden nur selten realisiert.

·     Siedlungsstrukturelle Konzepte, Stichworte ‚Stadt der kurzen Wege’  und ‚Region der am ÖV orientierten Wege’, stehen zwar in vielen raumplanerischen Programmen. Die Entwicklung verläuft jedoch in Richtung weiterer Zersiedlung und damit weiterer Abhängigkeit vom MIV.

 

Eine nachhaltige Siedlungs- und Verkehrsentwicklung fordert wegweisende Entscheidungen, die sich nur treffen lassen, wenn es gelingt, auch im politischen Raum festgefahrene Positionen aufzulösen. Dabei liegen die Ansätze in der an die Öffentlichkeit gerichteten politischen Diskussion häufig weiter auseinander als in der praktizierten Verkehrspolitik vor Ort:

 

·     In der Berliner Verkehrspolitik blieben die zentralen und in der politischen Diskussion von der Opposition hart kritisierten Maßnahmen des rotgrünen Senats (Tempo 30 im Großteil des Netzes, Busspuren, Umweltabo, Tempo 100 auf der AVUS) auch unter der anschließenden großen Koalition erhalten und wurden teilweise sogar ausgeweitet. Gleichzeitig betonen fast alle programmatischen Erklärungen der im Bundestag vertretenen Parteien die ökologischen Schutzziele und sind teilweise fast austauschbar. Man sehe sich dazu einmal die Internetseiten der entsprechenden Parteien an. Als ich im Wintersemester 2001/2002 die dort vorzufindenden verkehrspolitischen Aussagen durch die Studierenden den Parteien zuordnen ließ, war die Trefferquote äußerst gering. So ordneten beispielsweise die Mehrzahl der Studierenden den verkehrspolitischen Text aus dem Programm der CSU der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu.

·     Auch die auf Bundesebene initiierten Forschungsprojekte gehen bereits seit Längerem davon aus, dass eine ungebremste Zunahme des MIV mit Nachhaltigkeitszielen unvereinbar ist: So sehen die Forschungsfelder ‘Städtebau und Verkehr’ sowie ‘Städte der Zukunft’ die Reduzierung des MIV als selbstverständliche Grundlage einer nachhaltigen Stadt- und Verkehrsplanung. Diese Forschungsvorhaben wurden von einem damals noch CDU-geführten BMBau initiiert.

 

Wie müsste nun eine integrierte Verkehrsplanung als abgestimmte Planung von Siedlungsstrukturen und Verkehr aussehen?

2.1  Distanzen reduzieren (Verkehrsvermeidung)

Verkehrssparsame Siedlungsstrukturen als Voraussetzung

Ausgewogen gemischte und verträglich dichte Baustrukturen mit hoher Wohn- und Freiraumqualität sind die baulichen Voraussetzungen für ein verkehrssparsames Verhalten. Derartige Strukturen bieten zahlreiche Kontaktmöglichkeiten im Wohnungsumfeld. Sie erleichtern den Alltag auch für diejenigen, die keinen Pkw besitzen, und deren Handlungsspielräume durch die bisherige Siedlungsentwicklung mehr und mehr eingeschränkt wurden. Wichtige Ansatzpunkte sind:

Auf kommunaler Ebene erhalten die Bestandserhaltung und –ergänzung Vorrang vor größeren Neubauvorhaben und folgen den Prinzipien einer ausgewogenen Mischung sowie verträglichen Dichte und Nutzungsnachbarschaft. Eine verkehrssparsame Standortplanung strebt dabei allerdings keine kleinteilige Gleichverteilung aller Nutzungen in ‘idealer Dichte’ an. Dies wäre schlicht unrealistisch und angesichts sehr unterschiedlicher Ansprüche z. B. an die Wohnmöglichkeiten auch unerwünscht. Die Standortplanung sollte aber jede Entscheidung nochmals kritisch hinterfragen:

 

·     Ist es tatsächlich notwendig in zentralen Stadtbereichen, wie bei derartigen Entwicklungsmaßnahmen in der Regel üblich, den ohnehin bestehenden Bedeutungsüberschuss der Kernstadt und der Innenstadt weiter zu erhöhen?

·     Sind alle Nachverdichtungspotenziale in den Bestandsgebieten (auch oder sogar vorrangig in den Bereichen bisher geringer Dichte) genutzt, bevor zusätzliche Flächen im Außenbereich in Anspruch genommen werden?

·     Sind die gegebenenfalls noch erforderlichen Neuplanungen für Gewerbe und Wohnen im Außenbereich sinnvoll an den Netzen des ÖPNV ausgerichtet und lassen sie nicht doch noch eine höhere Flächenauslastung zu?

 

Die ‚regionale Ebene’ bemüht sich den gleichen Prinzipien folgend um eine verkehrssparsame Aufgabenteilung zwischen Stadt und Umland. Die ‚zersiedelten Bereiche’ werden auf lange Frist die Wohnorte eines erheblichen Teils der stadtregionalen Bevölkerung bleiben. Diese Bestandsgebiete müssen in der Aufgabenteilung zwischen Stadt und Umland aber auch zwischen den Umlandgemeinden so entwickelt werden, dass sich dort ortsgebundene Lebensweisen etablieren können.

Landes- und Bundesebene schaffen für diese Entwicklungen die entsprechenden Rahmenbedingungen. So sollten sich sämtliche Förderprogramme auf den Bestand konzentrieren. Dies gilt gleichermaßen für die Förderung der Verkehrsinfrastruktur wie für die Förderung des Wohnungsbaus. Gleichzeitig gilt es, Anreize für eine verkehrssparsame Kooperation zu schaffen. So könnte beispielsweise der Verteilungsschlüssel des kommunalen Finanzausgleichs den Binnenanteil im Berufsverkehr aufnehmen und somit innerhalb einer Region sowohl für die Kernstadt wie für die Umlandgemeinden Interesse an einer verkehrssparsamen Aufgabenteilung wecken, da sowohl hohe Einpendler- wie Auspendlerraten zu Abstrichen an der Mittelzuweisung führen.

Die Siedlungsstruktur bildet den langfristigen Rahmen der Verkehrsstruktur. Eine gemeinsam entwickelte Planung von Siedlungsstruktur und Verkehr kann die Option der Verkehrssparsamkeit und der Nutzung des Umweltverbundes erhalten. Sektorale Konzepte wie bisher können sie aber weiter zerstören und zu Strukturen führen, die immer stärker vom MIV abhängig sind.

Von besonderer Bedeutung ist dabei der Umgang mit dem Siedlungsbestand, zu dem inzwischen auch die zersiedelten Umlandbereiche gehören. Die Diskussion darf sich nicht auf den „Kampf gegen eine weitere Zersiedlung“ beschränken, sondern muss sich verstärkt mit der Frage beschäftigen, wie lassen sich diese Bereiche in eine Strategie nachhaltiger Entwicklung integrieren. 

Verkehrssparsame Organisation als Ergänzung

Verkehrssparsame Siedlungsstrukturen schaffen jedoch nur die Möglichkeit zu einem verkehrssparsamen Verhalten. Jeder bestimmt für sich mit seinen Entscheidungen über die Lage des Wohnortes, des Arbeitsplatzes, der bevorzugten Geschäfte und Freizeitorte über den eigenen Verkehrsaufwand. In den bestehenden räumlichen Strukturen wird immer verkehrsaufwändiger gelebt. Es kommt zu einer individuellen Trennung der Funktionen, die wesentlich weiter reicht als die in der Planungsdiskussion vielfach kritisierte bauliche Trennung der Funktionen. Gleichzeitig zeigt sich im individuellen Verhalten durchaus ein Bestreben, den eigenen Alltag mit einem geringen (vor allem zeitlichen) Verkehrsaufwand zu organisieren. Dies gelingt jedoch aufgrund der vielfältigen Ansprüche, die in Einklang gebracht werden müssen, immer seltener. Ein hoher Verkehrsaufwand wird (bei vergleichsweise geringen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwendungen) in Kauf genommen, um gleichermaßen den beruflichen Interessen, den individuellen Wohnwünschen usw. gerecht zu werden.

Ergänzend zu den siedlungsstrukturellen Konzepten, die den ‘kollektiven’ Rahmen für ein verkehrssparsames Verhalten bilden, sind daher Konzepte der Organisation erforderlich. Diese bieten konkrete Hilfestellungen zum Verkehrssparen durch Nutzungsverdichtung, individuelle Zuordnung der Nutzungen und Freiflächen-Verfügbarkeit ohne maßgebliche bauliche Veränderungen. Aktuell praktizierte Beispiele sind:

 

·     Die Kommunen regen eine Zusammenarbeit von Wohnbauträgern und ‘benachbarten’ Arbeitgebern an, die zu einer distanzreduzierenden Belegung der Wohnungen führt. Unter Umständen beteiligen sich die Arbeitgeber finanziell, um Belegungsrechte zu erwerben.

·     Innerhalb von Wohngebieten, hierzu bieten sich zur Zeit die Stadterweiterungsgebiete der 50er bis 70er Jahre an, werden Wohnungstauschbörsen bzw. ein entsprechendes Belegungsmanagement initiiert. Diese führen zur Mobilisierung größerer Wohnungen, um der bisher u. a. durch die Altersentwicklung abnehmenden Einwohnerzahl in Bestandsgebieten entgegenzuwirken.

·     Im sozialen Wohnungsbau lassen sich auf ähnliche Weise größere Wohnungen mobilisieren. Auch Haushalten, die eigentlich keinen Anspruch mehr auf eine Sozialbauwohnung haben und daher erst recht an ihren bisherigen großen Wohnungen festhalten, werden zumindest kleinere Sozialbauwohnungen angeboten.

·     Geringe bauliche Nachverdichtungen können aktuell vor allem in den Wohngebieten der Nachkriegszeit mit altengerechten Wohnungen durchgeführt werden. Diese Gebiete befinden sich im Generationswechsel, so dass ein Umzugsmanagement größere Wohnungen mobilisieren kann. Für jüngere Bewohner sollte dies mit dem Angebot verbunden sein, diese Wohnungen für pflegebedürftige Familienmitglieder mieten zu können.

·     Arbeitgeber mit mehreren Arbeitsstätten, als Einstieg der öffentliche Dienst, führen Arbeitsplatztauschbörsen bzw. ein Arbeitsplatzmanagement ein. Hier kann ein Beschäftigter sein Interesse anmelden an einem Arbeitsplatz in geringerer Entfernung zur eigenen Wohnung. Steht dort eine vergleichbare Stelle zur Besetzung an, wird der betreffende Beschäftigte in den Bewerberkreis aufgenommen.

·     Der zusätzliche Flächenbedarf mancher Dienstleistungsunternehmen kann auch als Nachbarschaftsbüros, die telekommunikativ mit der Zentrale und untereinander verbunden sind, realisiert werden. Als Standorte bieten sich neuere Wohngebiete an den Stadträndern aber auch Umlandgemeinden an, in denen ein erhebliches Arbeitsplatzdefizit herrscht und gleichzeitig Nachverdichtungen thematisiert werden.

·     Im Einzelhandel kann über Nachbarschaftsläden und über die Übernahme von Zusatzfunktionen (z. B. Postagenturen) die wohnungsnahe Versorgung gestärkt werden. Die Wohnungsbauträger können durch geringe Mieten für die Ladenflächen einen gebietsbezogenen Angebotsmix unterstützen.

·     Bei der Errichtung von Gebäuden sind von vornherein Umnutzungsmöglichkeiten zu schaffen: von der Kindertagesstätte zur Altenbegegnungsstätte, vom Büro zur Wohnung ... Für den Investor ist dies ein ökonomisches Sicherungsmoment mit relativ geringen Zusatzkosten.

·     In zahlreichen Siedlungsgebieten gibt es weitgehend ungenutzte Grünflächen. Dem steht eine private Aneignung derartiger Flächen in Wohnungsnähe als Ausdruck des Wunsches nach privaten Freiräumen gegenüber. Wohnungsbauträger können derartige Mietergärten gezielt anbieten. Sie sparen damit Pflegekosten für die Grünanlagen, erhöhen die Identifikation der Bewohner mit ihrem Gebiet und tragen zur sozialen Sicherung der Außenräume bei.

 

Gemeinsam ist derartigen Ansätzen der Angebotscharakter, die Freiwilligkeit. Wer näher an seinem Arbeitsplatz wohnen will, wer im Alter in eine kleinere Wohnung umziehen will, erfährt Unterstützung. Die Erleichterung im Alltag wird erfahrbar, für den Betreffenden selbst und für sein Umfeld: ‘Der neue Kollege kommt immer so entspannt zu Fuß zur Arbeit. Vielleicht sollte ich mich auch einmal bei dieser Arbeitsplatztauschbörse melden.’ Oder: ‘Meine Freundin wohnt jetzt in dieser umgebauten Wohnung im Erdgeschoss des Nebenhauses. Klein ist sie ja, aber dafür macht sie auch nicht soviel Arbeit. Und die Treppen in den dritten Stock sind für mich inzwischen viel zu anstrengend. Ich werde mich auch mal an die Verwaltung wenden.’

Im Güterverkehr ist der Verkehrsaufwand aufgrund der globalen Vernetzungen, die offenkundig kaum etwas mit siedlungsstrukturellen Bedingungen zu tun haben, noch stärker ein Frage der Organisation. Die Zunahme des Güterverkehrsaufwandes ist das Resultat von Umstrukturierungen unter Rahmenbedingungen, die Verkehr nur begrenzt als knappes Gut erscheinen lassen. Der Versuch hier entgegenzuwirken kann also kaum über siedlungsstrukturelle Konzepte gelingen. Vielmehr liegen die Chancen neben zwingend erforderlichen Kostenanlastungen  im Rahmen der Organisation. Die entsprechenden Stichworte sind: regionale Wirtschaftskreisläufe, Clusterbildung der Produktionsstandorte und Direktbelieferung sowie regional orientierte Dienstleistungen auf der einen und telekommunikationsgestützte Dienstleistungen auf der anderen Seite.

Organisatorische Konzepte können kurzfristig im Neubau und Siedlungsbestand wirksam werden. Sie basieren in der Regel auf öffentlicher und privater Kooperation und sind dabei weitgehend kostenneutral. Organisatorische Konzepte setzen allerdings ein entsprechendes Problembewusstsein - ‘Verkehrsprobleme sind nicht nur eine Frage der Verkehrsmittelnutzung sondern auch eine Frage der Distanzen’ - und eine entsprechende Handlungsbereitschaft voraus. Diese Handlungsbereitschaft resultiert natürlich auch aus entsprechenden Rahmenbedingungen, nicht unwesentlich aus den Kosten im Verkehr. Eine kontinuierliche Anhebung der Mineralölsteuer durch den Bund kann diesen Anreiz erhöhen.

Verkehr vermeiden = Mobilität erhöhen

Mobilität ist die Möglichkeit Aktivitäten auszuüben. Siedlungsstrukturelle und organisatorische Konzepte der Verkehrsvermeidung schaffen oder erhalten Handlungsspielräume in der Nähe. Sie sind alltagserleichternd und erhöhen damit die Mobilität. Im Kontext der weiteren Bevölkerungsentwicklung mit einem zunehmenden Anteil älterer Menschen gewinnen sie an Bedeutung. Strukturen, die die Alltagsbewältigung weitgehend in der Wohnumgebung zulassen, sind eine Voraussetzung für die Selbstständigkeit bis ins hohe Alter (Holz-Rau 2001).

2.2 Vom MIV zum Umweltverbund

Verbesserungen beim Umweltverbund

Die Verlagerung des MIV auf öffentliche Verkehrsmittel, auf Wege mit dem Rad oder zu Fuß setzt attraktive Angebote voraus. Auch dabei bestehen enge Verbindungen zu siedlungsstrukturellen Konzepten, die sich in weitgehendem Einklang mit der Strategie der Verkehrsvermeidung befinden:

 

·     Eine ausgewogene Mischung baut die teuren einseitig gerichteten Spitzenbelastungen im ÖV zugunsten eher paariger Ströme ab, die sich kostengünstiger bedienen lassen.

·     Dichte und kompakte Siedlungsstrukturen erhöhen das Nachfragepotenzial am einzelnen Haltepunkt, reduzieren die Anzahl der erforderlichen Halte, beschleunigen somit den ÖV und sparen Kosten.

·     Standortplanungen orientieren sich an den bestehenden Verkehrsangeboten vor allem im ÖV und an bestehenden Kapazitätsreserven. Derartige Standorte garantieren ein hochwertiges ÖV-Angebot ‚von Beginn an’ und machen keine ergänzenden Investitionen zur Anbindung erforderlich.

 

Eine kommunale Kostenbeteiligung am ÖV kann dabei ‘heilsame’ Wirkung entfalten. Wenn bei Standortplanungen konkreter als bisher Rechenschaft abzulegen ist hinsichtlich der ÖV-Kosten, wird sicherlich die eine oder andere Planung nochmals überdacht und nach Standorten Ausschau gehalten, die die Auslastung bestehender ÖV-Angebote erhöhen.

Dichte Takte und Netze, abgestimmte Fahrpläne, Pünktlichkeit, Sicherheit und akzeptable Fahrtgeschwindigkeit zu einem angemessenen Preis kennzeichnen ein attraktives ÖV-Angebot. Busbeschleunigung, Anschlusssicherung, Fahrgastinformation und bedarfsabhängige Bedienungsformen sind die Ansatzpunkte und wichtige Einsatzbereiche der Telematik.

Verkehrsangebote haben aber auch hier nur optionalen Charakter. Wie bei der Verkehrsvermeidung spielen ergänzende organisatorische Konzepte sowie zielgerichtete Informationen eine große Rolle. Hierzu zählen z. B. Mobilitäts- und Güterverkehrsberatungen, Car-Sharing, Citylogistik und Öffentlichkeitsarbeit.

Einschränkungen beim MIV

Die Attraktivierung des Umweltverbundes allein erzielt nur begrenzte Verlagerungseffekte vom MIV, und dies gerade im ÖV zu einem hohen Preis. Deshalb müssen entsprechende Verlagerungsbemühungen unterstützt werden durch Einschränkungen beim MIV. Im kommunalen Handlungsrahmen liegen z. B. Parkraumkonzepte, längerfristig Road-pricing, Einschränkungen durch Pförtneranlagen und vor allem (eigentlich gar nicht restriktiv im engeren Sinne) der Verzicht auf den weiteren Ausbau der Straßennetze ... Die kommunale oder regionale Kostenbeteiligung am ÖV kann die Bereitschaft zu MIV-Restriktionen steigern, da gute ÖV-Angebote wesentlich leichter zu finanzieren sind, wenn ihre Auslastung durch Einschränkungen im MIV erhöht wird.

Bei restriktiven Maßnahmen ergeben sich gleichzeitig die größten Umsetzungsprobleme - vorrangig Vermittlungsprobleme. Eine an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Verkehrsplanung wird aber ohne den Mut zu derartigen Restriktionen scheitern.

Eine derartige Neuorientierung setzt sicherlich ein Umdenken auf Landes- und Bundesebene voraus. Der Ausbau der (überwiegend im Nahverkehr genutzten) Fernverkehrswege durch den Bund und das Land sowie gegensteuernde Restriktionen durch die Kommunen sind ein teurer und unsinniger Widerspruch. Von einer integrierten Verkehrsplanung kann jedoch erst dann gesprochen werden, wenn es gelingt, dieses Gegeneinander von Bund, teilweise Ländern und Gemeinden in ein Kfz-verkehrsreduzierendes bzw. plafondierendes Miteinander überzuführen: Wer einen weiteren Anstieg des Verkehrsaufwandes im MIV tatsächlich verhindern und den Umweltverbund stärken will, benötigt dazu sicherlich keine neuen oder telematisch aufgerüsteten Straßen und wird nicht umhin kommen, Verkehr zu verteuern.

2.3 Verkehr verträglicher abwickeln

Verkehrsberuhigungsmaßnahmen statt Straßenbau

Konzepte zu einer verträglicheren Abwicklung bilden den Standardansatz der aktuellen Verkehrsplanung. Ein verändertes Verständnis von Verträglichkeit hat längst Verkehrsberuhigung und die Integration von Hauptverkehrsstraßen in den Vordergrund gestellt. Einzelne Straßenbauvorhaben dienen in einem konsequenten Konzept der Entlastung empfindlicher Bereiche und nicht mehr der Kapazitätserweiterung. Auch aus finanziellen Gründen sollten im Straßenbau geringstmögliche Ausbaustandards zur Anwendung kommen.

Angepasste Fahrzeugtechnik

Im technischen Bereich bestehen erhebliche Potenziale, die Belastungen durch den Verkehr zu verringern. Kleinere Fahrzeuge senken den Energieverbrauch und die Abgasemissionen. Die Motorkapselung verringert die Geräuschemissionen ... Zur Durchsetzung und Akzeptanz verträglicher Fahrzeugkonzepte bedarf es gemeinsamer Anstrengungen der Industrie, der Politik- und Planungsebenen, vor allem einer Verteuerung des Kraftstoffs als Anreiz zur Entwicklung und zum Kauf sparsamer Kraftfahrzeuge. Die öffentliche Hand kann im eigenen Fahrzeugpark deutliche Signale setzen und die Nachfrage nach sparsameren Fahrzeugen erhöhen.

3   Integrierte Verkehrsplanung – wie umsetzen?

Kooperation als Schlüssel

Planung ist ein kommunikativer Prozess. Auf allen Ebenen lautet der Schlüsselbegriff Kooperation. Die Kommune spricht mit Unternehmen und Wohnungsbauträgern, mit den ÖV-Unternehmen. Die Kommunen einer Region arbeiten zusammen, die Wohnungsbauträger wenden sich an ihre Mieter, die Unternehmen an ihre Beschäftigten ... Bund und Länder beteiligen sich über Rahmensetzung, über Förderprogramme und Modellprojekte, die in Zusammenarbeit mit den Beteiligten entwickelt werden. Dabei schaffen Bund und Länder Rahmenbedingungen, die diese Kooperationen für die Beteiligten vorteilhafter machen als die bisher durchaus „individuell“ rationale Konkurrenz.

Im eigenen Handlungsbereich übernimmt die ‘öffentliche Hand’ Vorbildfunktion (z. B. in einer arbeitsplatzorientierten Belegung des kommunalen Wohnungsbestandes, Arbeitsplatztausch im öffentlichen Dienst), schafft durch eine an Mischung und Dichte orientierte Standortplanung die baulichen Voraussetzungen für ein verkehrssparsames Verhalten und unterstreicht so die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Durch Modellprojekte, die mit relativ geringem finanziellen Aufwand durchgeführt werden können, werden die Vorteile vor allem organisatorischer Konzepte veranschaulicht.

Behutsamkeit als Planungsprinzip

Die Vorhersehbarkeit von Entwicklungen und Auswirkungen in komplexen dynamischen Systemen ist eng begrenzt. Eine integrierte Verkehrsplanung ist eine behutsame Planung. Sie ergänzt das Bemühen um eine bessere, aber immer vage Voraussicht durch Vorsicht. Im einzelnen heißt dies:

 

·     Konsistenz der Maßnahmenbündel

·     Flexibilität der Konzepte

·     Interdisziplinarität

·     und Vertrauen in und Förderung der Kreativität vor Ort,

·     kontinuierliche Erfolgskontrolle.

 

Eine integrierte Planung erwartet von keinem Ansatz und von keiner Disziplin eine Gesamtlösung sondern von vielen Einzelschritten und von vielen Beteiligten einen kleinen Beitrag. Daher kommt der Kommunikation, der gemeinsamen Zielfindung und der Kompromissbereitschaft aller Beteiligten höchste Bedeutung zu, sowohl in vertikaler Richtung (Bund, Länder, Gemeinden) als auch in horizontaler Richtung (Verkehrsplanung, Stadtplanung, Wirtschaftsförderung...). Nur in abgestimmten Konzepten der Vermeidung, der Verlagerung und einer verträglicheren Abwicklung des Verkehrs lassen sich die vielfältigen Verkehrsprobleme mildern.

Umdenken und Umsteuern erforderlich

Die dazu erforderlichen Umdenkungs- und Umsteuerungsprozesse sind sicherlich erheblich. Sie sind langfristig jedoch weniger einschneidend als die mit den Klimaveränderungen einhergehende Zerstörung der ökologischen Grundlagen, des Verlustes städtischer Lebensqualität und einer zunehmend einseitigen, damit sozial unausgewogenen und ökonomisch riskanten Abhängigkeit vom MIV. Die bestehenden Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume werden mit jeder verfehlten Standortentscheidung geringer. Die Verkehrspolitik und -planung wird diesen Prozess nur dann aktiv mitgestalten können, wenn sich die Forderung nach ‘neuen Konzepten’ mit einem behutsamen Planungsverständnis verbindet.

Dazu sollte heute auf allen Ebenen mit dem Umsteuern begonnen werden, anstatt mit dem Hinweis auf die Untätigkeit anderer im Status-quo zu verharren, d.h. die aktuellen Veränderungen fortschreiten zu lassen. Den Verkehrsaufwand und die Pkw- und Lkw-Nutzung auf dem heutigen Niveau zu stabilisieren wäre ein mittelfristiger Erfolg, auf dem aufbauend technische Verbesserungen einen erheblichen Beitrag zu einem sozial und ökologisch verträglicheren Verkehr leisten können. Handlungsmöglichkeiten für Bund, Länder und Gemeinden, für Unternehmen und private Haushalte bestehen, ohne dass einer auf den anderen warten müsste.

4. Literatur

Buchanan, C. (1963): Traffic in Towns. London (in deutscher Sprache in der Reihe Bauwelt Fundamente erschienen)

Fromberg, Gwiasda, Holz-Rau (1999): Nutzungsmischung und Stadt der kurzen Wege - Werden die Vorzüge einer baulichen Mischung im Alltag genutzt? In: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, BBR (Hrsg.): Werkstatt: Praxis 7/1999, Bonn

Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Hrsg.) (1997): Materialien zur Raumentwicklung. Heft 84, Bonn

Holz-Rau, C. (2001): Alten Menschen, Raum und Verkehr: Ist die „altengerechte“ Stadt nutzungsgemischt? In: Flade, A.; Limbourg, M.; Schlag, B. (Hrsg.): Mobilität älterer Menschen. Opladen, S. 141-154

Sachverständigenrat, Hollatz, Tamms (Hrsg.) (1965): Die kommunalen Verkehrsprobleme in der Bundesrepublik Deutschland – ein Sachverständigenbericht und die Stellungnahme der Bundesregierung. Essen