Wolfram Elsner

Rüstungskonversion als lokale Industriepolitik.

Das Beispiel des Stadtstaates Bremen (1991-2001)

1.  Die Welt nach „New York“: die Gewaltlogik und die Handlungsspielräume von Regionen

„New York“ wird das Symbol einer langen Ära werden. Aber für was? Für Heldentum, „freedom&democracy“ und „law&order“ im Sinne westlicher Fundamentalisten und ihrer europäischen „Hilfsamerikaner“? Wenn das der Fall wird - und wie die Dinge liegen, spricht alles dafür -, dann wird dieses Symbol binnen kurzer Zeit in einer endlosen Gewaltlogik untergehen. Wenn NY aber das Symbol dafür wird, dass die Welt endgültig, unabweisbar eine „globale“, „eine“ Welt geworden ist, in der keine Aktion mehr von der anderen zu trennen ist, in der alle Regionen der Welt in Echtzeit miteinander verbunden sind, in der nicht mehr nur wir in der „dritten“ und „vierten“ Welt präsent sind sondern die „dritte“ und „vierte“ Welt auch in unseren Städten und Wohngebieten angekommen ist - dann besteht die Chance für eine Wende in unserem Denken und Handeln, die die Wirkungen unseres Handelns auf die anderen (und umgekehrt) endlich in Rechnung stellt. Wir können uns nicht mehr erlauben wegzusehen, wenn in unserem Namen „irgendwo weit weg“ Gewalt, Zerstörung, Ausbeutung und Erniedrigung stattfinden - dies alles schlägt zurück in unsere Städte, unmittelbarer denn je, schneller denn je.

Die „staatstragenden“ Medien gaukeln uns eine Welt vor, in der wir von den vielen Völkern, Kulturen und Regionen dieser Welt das Leiden, die Degradierung, die Zerstörung ihrer gesellschaftlichen Fähigkeiten und Handlungskompetenzen, die Wut und den Widerstand nur sehr gefiltert und einseitig interpretiert erfahren. Sie filtern von den unendlichen, vielfältigen Informationen aus den Lebensräumen der Welt weit mehr heraus als sie zu uns durchlassen.

Man mag es nicht mehr wiederholen, dass man es seit der „neo-liberalen“ Wende vor mehr als zwanzig Jahren (die ja weder „neo“ noch in irgendeinem vernünftigen Sinne liberal ist) vorausgesagt hat: Die exklusive Herstellung der globalen Ebene für die Wirtschaftsinteressen, die Umverteilung von unten nach oben und der totale Ressourcen- und Herrschaftsanspruch der neuen monopolaren Mächtekonstellation sind nur durchsetzbar und sicherbar durch eine politische und soziale Zerstörung größten Ausmaßes, die Zerstörung zahlreicher gewachsener gesellschaftlicher Institutionen, welche Sicherheit, Orientierung, Lernbereitschaft und damit gesellschaftliche Produktivität gewährleisteten, und die kulturelle Degradierung in zahlreichen Regionen der Welt, zwangsläufig also in letzter Instanz durch ein System der Sicherung von Ungerechtigkeit durch Gewalt. Nun sind wir also endgültig hineingezerrt in ein System von privater und staatlicher Gewalt und Gegengewalt - unsere „staatstragenden“ privaten Medien nennen das eine „Terror“, das andere „Friedensmissionen“ und „Kampf gegen den Terror“.

Die „Staatengemeinschaft“ der „zivilisierten Welt“, die G8 mit ihren Regulierungs- und Interventionsapparaten Weltbank/Weltwährungsfonds, WTO und NATO - diese herrschende „global governance“ ist ein Minderheitenregime der mächtigsten Geldverfüger, eine globale Plutokratie. Die UNO dagegen, die das aus den schlimmsten Erfahrungen kondensierte historische Wissen der Völker im vernünftigen Umgang mit Konflikten aller Art, auch mit Terror, repräsentiert, mit ihren friedlichen Konfliktregelungsmechanismen, ihren helfenden, ausgleichenden und entwicklungspolitischen Organisationen, ist demgegenüber seit vielen Jahren finanziell gegängelt, zermürbt, de-legitimiert und nun fast endgültig beiseite geschoben worden. Sie darf bestenfalls noch sekundierend tätig werden. In einer Welt, in der faktisches finanzielles, handelsrechtliches und militärisches Diktat der mächtigsten Staaten wieder an der Tagesordnung sind, ist notwendigerweise auch Krieg wieder integrales Mittel der Politik geworden. Die letzte Periode, in der solche Zustände herrschten, haben die Historiker und Ökonomen im nachhinein als Zeitalter des Imperialismus definiert.

Die US- und internationalen Friedens- und Alternativbewegungen haben in ihren Erklärungen nach „New York“ gefordert, dieser globalen governance den sozialökonomischen Nährboden zu entziehen. Worin besteht dieser Nährboden? Nationale Souveränität, gesellschaftliche Steuerungsfähigkeit sowie die zentralen Produktivkräfte, nämlich die sozialen Institutionen und verbreitetes individuelles Selbstwertgefühl, sind in den meisten Ländern dieser Erde weitgehend zerstört. Nationale und regionale Demokratie laufen ins Leere und werden konsequenterweise abserviert. Der Weltentwicklungsbericht 2000/2001 von Weltbank und UNESCO beispielsweise demonstriert ein ganzes Gruselkabinett der Unmenschlichkeit unserer globalen Strukturen. Seitdem man Zahlen rekonstruieren kann (die Weltbank schafft es bis zum Jahre 1800 zurück), hat die Welt noch nie so ungleiche und damit ungerechte Verteilungsstrukturen gekannt. Eine kleine Gruppe von Superreichen im Bruchteilbereich von Promille verfügt über mehr Einkommen und Vermögen als drei Viertel der Weltbevölkerung; unter den hundert finanziell größten Einheiten der Welt befindet sich nur noch eine (schrumpfende) Minderheit an Staaten, eine (wachsende) Mehrheit davon sind private Unternehmen. Weltentwicklung wird fragmentiert privatisiert. Eine geld- und machtbasierte governance ist strukturell und ideologisch unfähig zu Liberalität, Pluralität, regionaler Diversität, gleichberechtigtem Dialog der regionalen Kulturen oder selbstdefiniertem, proaktivem regionalem Handeln.

Haben Regionen vor diesem Hintergrund die Chance, im globalen System von Umverteilung, Ungerechtigkeit, Degradation, Gewalttätigkeit, Kriegführung und Aufrüstung Handlungskompetenz zu erlangen, ja sogar „bottom up“ gegenzusteuern, wo sie doch anscheinend unabweisbar im System der beinharten Konkurrenz der immobilen Wirtschaftsstandorte um das hochmobile, sich „rar machende“ und seine „Exit-Option“ gegenüber der (regionalen) Gesellschaft ausnutzende Kapital stecken und somit zu vereinheitlichten, die „Besten“ imitierenden und deren Kultur importierenden Verhaltensweisen anscheinend keine Handlungsalternative besitzen?

2.   Regionale industriepolitische Handlungskompetenz im Bereich der Rüstung?

In der Tat gibt es Regionen und in ihnen gesellschaftliche Kräfte, die aufgrund eigener erfolgreicher Erfahrungen - und zwar sogar im globalstrategisch sensibelsten Feld der Rüstung und in der historisch relativ einmaligen Phase weltweiter Entspannung und Abrüstung der neunziger Jahre - die Auffassung vertreten, dass regional industriepolitische Konversion ihrer hohen regional verdichteten Rüstungs- und Militärkapazitäten nicht nur moralisch und politisch vernünftig, regionalökonomisch nützlich und unternehmerisch profitabel - sondern auch regional- und strukturpolitisch operational, also instrumentell machbar ist.

Die internationale Konferenz „Conversion2001“ z.B., die im Jahre 2001 in Bremen mit 200 Regionenvertretern zum Thema „Abrüstung, Rüstungsproduktion und Konversion in den Regionen“ stattfand, forderte in ihrer Abschlusserklärung - als Rahmenbedingung eigenständiger regionaler, v.a. industriepolitischer und raumplanerischer Entwicklungsstrategien - nicht nur verstärkte Initiativen für eine präventive Strategie der Konfliktvermeidung und des gewaltfreien Konfliktmanagements, sondern auch eine intelligente Koppelung von Abrüstung mit Konversionsprogrammen in den Nationalstaaten und Regionen. In Deutschland z.B. sei in Abweichung von der (ersten) Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die bundespolitische Verantwortung für Konversion bisher nicht eingelöst worden. Nur Konversion könne erfahrungsgemäß die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Akzeptanz friedens- und sicherheitspolitisch gebotener Abrüstung sichern helfen.

Es sei abzusehen, dass die Sicherheitspolitik der kommenden Jahre in Europa verstärkt auf Konzentration und Koordination der materiellen und personellen Militär- und Rüstungskapazitäten ausgerichtet sein wird. Auch damit seien verbunden ein weiterer Um- und Abbau der Rüstungsproduktion und die Konzentration auf einige Standorte. Damit wachse erneut die Gefahr der Abhängigkeit ganzer Regionen und Betriebe von der Rüstungsproduktion. Kluge Strategien zur Erweiterung der Produktpaletten in zivile Bereiche hinein (Diversifizierung) seien jedoch sowohl für Unternehmen als auch für Regionen als dauerhafte Strategien unerlässlich (die Erklärung ist abgedruckt in Elsner (Hrsg.) 2001a, S.XIIIf.).

Auf dieser Konferenz wurde über eine Fülle erfolgreicher Beispiele regionaler Rüstungs- und Militärkonversion berichtet und damit ein großes internationales regionalisiertes Erfahrungswissen präsentiert, auf das bei der proaktiven Bewältigung künftiger Konversionsaufgaben zurückgegriffen werden kann. Vor diesem Hintergrund bliebe die Aufgabe der Militär- und Rüstungskonversion nicht nur weiterhin aktuell, sondern auch konkret machbar.

Als organisierende und unterstützende Institutionen waren das Bonn International Center for Conversion (BICC), das EU-Netzwerk „Demilitarized“, das EU-Wissenschaftler-Netzwerk „COST A10“, die Hans-Böckler-Stiftung, der Konversionsbeauftragte im Lande Bremen, die Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung, die IG Metall, Bezirk Küste, der DGB Bremen und der Kooperationsbereich Universität Bremen / Arbeitnehmerkammer beteiligt.

Der vorliegende Beitrag will vor diesem Hintergrund die Möglichkeit - und die Grenzen - einer eigenständigen, v.a. regionalökonomisch motivierten und industriepolitisch durchgeführten, die üblichen regionalen Handlungsgrenzen überwindenden und aus dem passiven regionalpolitischen „Zeitgeist“ ausbrechenden regionalen Rüstungskonversions-Förderung zeigen - am Beispiel des im Lande Bremen von 1991 bis 2001, also ein Jahrzehnt lang, verfolgten Ansatzes.

Er geht aus von regionalen Erfahrungen eines heftigen und plötzlichen Strukturwandels, von dem häufig Regionen und Städte betroffen sind, die eine starke industrielle Konzentration aufweisen oder abhängig von einem bestimmten sektoralen Cluster sind, wie es bei stark rüstungsabhängigen Regionen typischerweise der Fall ist, und zeigt eine proaktive regionalpolitische Antwort, ihre zugrundeliegende Philosophie, die Akteure und Instrumente und versucht eine annäherungsweise theoretische Reflexion des erzielten (relativen) Erfolgs.

Der Beitrag behandelt regionalpolitische Hintergründe (Abschnitt 3), das zugrundeliegende industriepolitische Problem (Abschnitt 4), einige Bedingungen für die Umsetzung einer erfolgreichen Konversionsstrategie (Abschnitt 5), den Ansatz, die eingesetzten Instrumente und einige Ergebnisse (Abschnitt 6) sowie theoretische Überlegungen und Generalisierungen dieser Erfahrungen (Abschnitt 7).

3.  Ein Stadtstaat als Region: strukturpolitische Möglichkeiten

Die Freie Hansestadt Bremen ist ein Hafen- und Industriezentrum mit einer besonderen historischen Erfahrung mit industriellen Einbrüchen, aber auch mit entsprechendem proaktivem, industriepolitischem Engagement. Als Zentrum der Rüstungsindustrie in Norddeutschland litt Bremen besonders unter dem dramatischen Strukturwandel, der durch den Abrüstungsprozess während der neunziger Jahre ausgelöst wurde. Bremens interaktiver und kooperativer Ansatz zur Initiierung von Rüstungskonversion wurde als positives Beispiel für strukturpolitisch initiierte, beschleunigte und stabilisierte industrielle Diversifizierung und strategisch angelegten Strukturwandel herangezogen.

Der Schiffbau hatte immer eine große Bedeutung für die gesamte industrielle Struktur; der Marineschiffbau und die Marineelektronik hatten daran einen beträchtlichen Anteil. Außerdem ist auch die Luft- und Raumfahrtindustrie bedeutsam; in Bremen werden Teile für den Airbus, den Tornado, den Eurofighter und den A400M gefertigt sowie für die Ariane und die internationale Raumfahrtstation.

Exemplarisch illustriert Tabelle 1 den Einbruch des Schiffbausektors.

 

Jahr

 

 

Unternehmen

1975

1985

1995

1997

AG „Weser“

4,909

(Konkurs 1983)

Seebeck

3,470

2,392

1,845

914

Bremen Vulkan

5,690

3,448

2,030

(Konkurs 1996)

SUAG

1,556

986

(Fusion mit Seebeck 1986)

Lloyd

1,713

1,184

661

472

Lürssen

1,138

1,150

683

697

Motorenwerke Bremerhaven

646

773

128

66

Rickmers

1,130

950

(Konkurs 1986)

Sieghold

420

261

(Beendigung 1987)

Bremen

11,737

4,598

2,713

697

Bremerhaven

8,935

6,546

2,634

1,452

Land Bremen

20,672

11.144

5,347

2,149

 

Tabelle 1: Beschäftigte in der bremischen Schiffbauindustrie, 1975-1997.

Quelle: Befragung bremischer Schiffbauunternehmen durchgeführt von H. Heseler, Kooperationsbereich Universität-Arbeiterkammer, Universität Bremen

 

Das Land Bremen entwickelte als Antwort auf diesen Strukturwandel in den frühen achtziger Jahren das Wirtschaftsstrukturpolitische Aktionsprogramm (WAP). Dieses Programm wurde etwa alle fünf Jahre fortgeschrieben. Die finanzielle Ausstattung wurde von 40 Mio. Euro im Jahre 1983 auf über 300 Mio. Euro im Jahr 1999 ausgeweitet. Als Landesprogramm ist es in der Lage, Drittmittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) und der EU-Strukturfonds (EFRE, Ziel-2, und diverse Gemeinschaftsinitiativen) zu akquirieren, da das Land Bremen sowohl aus nationaler als auch aus europäischer Sicht zu regionalpolitischen Zielgebieten zählt. Diese Zuschüsse erhöhen das Programmvolumen des WAP beträchtlich. Das WAP ist in Fonds unterteilt wie dem Technologiefonds, dem Fonds für kleine und mittlere Unternehmen, dem Dienstleistungsfonds, Infrastrukturfonds, Ökologiefonds etc. Diese Fonds bedienen 25 individuelle Förderprogramme. Hierzu zählte auch das Bremische Konversionsprogramm (BKP). Es wurde aus Mitteln des WAP-Industriestrukturfonds gespeist und vom EU-Regionalfonds bzw. der EU-Gemeinschaftsinitiative KONVER kofinanziert. Zugleich wurden im Rahmen des Konversionsprogramms neue strukturpolitische Instrumente entwickelt.

Obwohl Bremen die räumlichen Ausmaße einer Region bzw. einer Stadt aufweist, besitzt es den formalen Status eines Bundeslandes. Einem Bundesland steht zweifellos ein größeres strukturpolitisches Instrumentarium zur Verfügung, das bei der Umsetzung regionalökonomischer Entwicklungskonzepte eingesetzt werden kann, als einer Stadtgemeinde: Die formalen Kompetenzen beinhalten die Möglichkeit, sich sowohl bei der Bundesregierung als auch bei der EU um Fördermittel zu bewerben. Bundesländer sind aber im Gegensatz zu Städten und Gemeinden auch in der Lage, ihre eigenen strukturpolitischen Konzepte zu erarbeiten, ihre eigenen wirtschaftsstrukturpolitischen Gesellschaften einzusetzen, eigene technologiepolitische Programme zu entwickeln, Förderprogramme für KMU zu etablieren, infrastrukturelle Planungen selbständig durchzuführen (Straßen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, Schulen) etc. Ein Stadtstaat hat dementsprechend die Möglichkeit, die Vorteile einer kleinen politischen, administrativen und soziokulturellen Einheit (kurze Distanzen, eine beschränkte Anzahl lokaler Akteure und Institutionen, relative Transparenz des Entscheidungsprozesses, was alles dazu beiträgt, dass Entscheidungen relativ kurzfristig getroffen werden können) mit den strukturpolitischen Möglichkeiten eines Bundeslandes zu kombinieren.

4.  Die Herausforderungen eines plötzlichen und tiefgreifenden Strukturwandels: Das Beispiel des Rüstungssektors im Land Bremen

In Bremen waren 1989 16% der Arbeitsplätze des Verarbeitenden Gewerbes direkt und indirekt sowie 9% direkt rüstungsabhängig. Den Rüstungssektor bildeten im wesentlichen zwölf große und mittelgroße Unternehmen, von denen ein beträchtlicher Teil Hauptauftragnehmer war (s. Elsner, Voss 1991, Elsner 1992, 1993). Die Branchenstruktur des bremischen Rüstungssektors zum Ausgangszeitpunkt der Analyse (1989) gibt Tabelle 2 wieder.

 

Elektronik

40

Schiffbau und –reparatur

31

Luftfahrt und Vehicles

25

Andere

4

Gesamt

100

 

Tabelle 2: Die Branchenstruktur der bremischen Rüstungsindustrie, 1989 (in % der gesamten bremischen wehrtechnischen Industrie)

Quelle: Elsner, Voss 1991, S. 31.

 

Im Vergleich zu seinem Anteil am Bruttoinlandsprodukt war Bremen zu diesem Zeitpunkt das rüstungsabhängigste Bundesland (vgl. Tabelle 3).

 

 

 

Bundes-länder

Durchschnittlicher Anteil am Bruttoinlandsprodukt,

1980-1989

(in % des BIP)

(1)

Durschnittlicher Anteil an den nationalen Rüstungsausgaben,

1980-1989

(in % der gesamten nationalen Rüstungsausgaben)

(2)

 

Abhängigkeitsrate

 

(2) : (1)

Bremen

1.4

6.8

4.8

Schleswig-Holstein

3.5

7.2

2.0

Bayern

17.5

33.6

1.9

Baden-Württemberg

15.8

18.0

1.1

Hamburg

4.6

4.5

1.0

Saarland

1.5

1.3

0.9

Hessen

9.9

6.2

0.6

Nordrhein-Westfahlen

26.8

15.6

0.6

Rheinland-Pfalz

5.3

2.4

0.5

Nieder-sachsen

9.9

4.3

0.4

West-Berlin

3.7

0.0

0.0

Gesamt

100

100

 

 

Tabelle 3: Rüstungsabhängigkeit der deutschen Bundesländer, 1980-1989

Quelle: Elsner, Voss 1991, S. 32

 

1992 wurde Bremen in Bezug auf seine direkte Rüstungsabhängigkeit in einem Gutachten der EU-Kommission auf Platz 3 der 183 NUTS-II-Regionen (der damals zwölf EU-Staaten) gesehen (s. EU-Kommission 1992). Einige der wichtigsten Ergebnisse aus diesem Gutachten sind in Tabelle 4 wiedergegeben.

 

Rang

Region

Land

Abhängigkeit

1

Cumbria

UK

6.4

2

Essex

UK

2.8

3

Bremen

D

2.7

4

Bretagne

F

2.5

5

Aquitaine

F

2.4

6

Lancashire

UK

2.4

7

Liguria

I

2.2

8

Provence-Alpes-Cote d’Azur

F

2.1

9

Centre

F

2.0

10

Limousin

F

1.9

EC average:

0.6

 

Tabelle 4: Rüstungsabhängigkeit der EG (NUTS-II-) Regionen, 1992 (Beschäftigtenanteile in % der gesamten regionalen Beschäftigung).

Quelle: EU Commission 1992, S. 13.

In diesem Bericht wurde Bremen als gegenüber Einschnitten im Rüstungssektor besonders stark gefährdet eingestuft. Er betrachtete fast 30.000 Arbeitsplätze (bis zu 5,5% der gesamten Arbeitsplätze) in Bremen als bedroht (einschließlich der Beschäftigten in den Kasernen und in der damals - beträchtlichen - Rüstungsforschung).

Die weitere Entwicklung des bremischen Rüstungssektors verlief tatsächlich dramatisch: Die Beschäftigung nahm zwischen 1992 und 2000 mit 47% mehr als doppelt so stark ab wie im gesamten Verarbeitenden Gewerbe (was ebenfalls einen erheblichen Arbeitsplatzabbau zu verzeichnen hatte) (s. Tabelle 5; für detailliertere Angaben s. Elsner 1996 und Salot, Elsner 1998).

 

Untersuchungs-zeitraum

 

 

Sektor

1. Jan. 1990 bis
31. Dez. 1993

(4 Jahre)

1. Jan. 1994 bis 31. Dez. 1995

(4 Jahre)

 

1. Jan. 1996 bis
31. Dez. 1999

(4 Jahre)*)

 

 

1. Jan. 1990 bis
31. Dez. 1999

(10 Jahre)

 

Gesamtbeschäftigung der Rüstungsunternehmen

 

-7.4

 

-21.7

 

-27.3 (-11.7)

 

-47.2

Davon:

Zivilbeschäftigte

Rüstungsbeschäftigte

 

+1.3

-20.7

 

-21.6

-21.8

 

-32.4 (-10.3)

-17.2 (-13.7)

 

-46.2

-48.7

Verarbeitendes Gewerbe insgesamt

 

-10.4

 

-4.5

 

-8.5

 

-21.8

 

Tabelle 5: Beschäftigtenentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe und in der bremischen Rüstungsindustrie, 1990-1999 (in % der Gesamtbeschäftigung des jeweiligen Sektors, bei der Befragung wurden die 12 größten Unternehmen des bremischen Wehrtechniksektors von 1990 berücksichtigt, Nachfolgeunternehmen wurden einbezogen).

Quelle: Elsner 1996, S.8, 12, und Befragung aus dem Jahr 2000.

*) Zahlen beinhalten zwei große Konkurse (Bremer Vulkan Verbund und Deutsche Systemtechnik), die zu diesem Zeitpunkt einen hohen Anteil an Zivilbeschäftigten hatten. Die Zahlen in Klammern zeigen die Entwicklung ohne Berücksichtigung der Konkurse. Sie belegen, dass die weiterhin existierenden Unternehmen immer noch höhere Beschäftigungseinbußen im militärischen, als im zivilen Bereich aufweisen..

 

Bremens Betroffenheit hing aber nicht nur mit der außerordentlichen quantitativen Bedeutung der Rüstungsindustrie zusammen, sondern auch mit der Tatsache, dass - nach entsprechenden Studien und Schätzungen - über 50% der industriellen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten von Rüstungsunternehmen durchgeführt wurden (s. Bremer Senat 1998) und Bremen außerdem unter Einbrüchen in anderen Sektoren wie der Schiffbau- und Stahlindustrie litt. Dies erklärt, weshalb von politischer Seite prompt auf die strukturpolitische Herausforderung reagiert wurde.

5.  Die regionalen Akteure und „weiche” Rahmenbedingungen für Konversion

Die Ausgangsbedingungen für die Umsetzung einer Konversionspolitik waren in Bremen gut, da der Hauptsitz der meisten regionalen Rüstungsbetriebe zu diesem Zeitpunkt in Bremen ansässig und ein großer Anteil der Rüstungskapazitäten im Bereich „Elektronik“, also High-Tech, angesiedelt war und somit grundsätzlich eher in neue, wachsende, zivile Märkte konvertiert werden konnte.

Ferner hatten die lokalen Gewerkschaften bereits seit den siebziger Jahren ein Netzwerk von Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, die sich mit der Konversionsproblematik und alternativer Produktion befassten. Über die Jahre hinweg wurden von diesen Arbeitsgruppen zahlreiche Vorschläge für neue zivile Produkte ausgearbeitet. Da sich diese Gruppen seit über 15 Jahren an der „alten“ Konversionsdiskussion beteiligt hatten, war das Netzwerk gut vorbereitet, um auch an der neuen, nunmehr realen Konversionsdebatte, die 1990 begann, mitzuwirken. Repräsentanten dieses Netzwerkes waren tatsächlich treibende Kräfte bei der Fortführung dieser Diskussion: Sie schlugen zu fördernde Konversionsprojekte vor, Verbesserungen bei der Förderpraxis im Rahmen des Konversionsprogramms und machten Vorschläge zur Fortschreibung des Programms auf Grundlage der Erfahrungen, die im Verlauf der Förderung gesammelt wurden. Teilweise waren die Repräsentanten dieses Netzwerkes als Vertreter der Gewerkschaften auch im Beraterkreis Bremisches Konversionsprogramm vertreten (s.u.). Schließlich hat dieses Netzwerk selbst auch Fördermittel im Rahmen des Konversionsprogramms bezogen, um ein Netzwerk zu gründen, das aus europäischen betrieblichen Vertrauensleuten bestand. Dieses arbeitete vier Jahre lang.

Ähnliches trifft auch auf die universitäre Konversionsdebatte zu. Hier waren einige überregional bekannte Politikwissenschaftler, Historiker und Ökonomen für viele Jahre an der Konversionsdebatte beteiligt. Sie haben nicht nur an der nationalen und internationalen Friedens- und Konversionsdiskussion mitgewirkt, sondern waren auch an regionalen Fallstudien und Konversionsvorschlägen beteiligt, sowie an der Durchführung von Befragungen der Rüstungsbeschäftigten. Und sie sorgten zeitweise für eine erhebliche Präsenz der Thematik in den regionalen Medien. Zwei Vertreter der Universität wurden vor diesem Hintergrund Mitglieder des bereits erwähnten regionalen Beraterkreises zum Bremischen Konversionsprogramm.

Die sozialdemokratische Partei, die das Land Bremen seit den frühen siebziger Jahren allein regierte, war lange Zeit von der wissenschaftlichen und gewerkschaftlichen Konversionsdiskussion beeinflusst. So war beispielsweise der gegenwärtige Präsident des Bremer Senats Ende der 1980er Jahre Gründungsmitglied der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung. Diese Stiftung setzt sich zusammen aus Mitgliedern der Friedensbewegung, Gewerkschaftern, Vertrauensleuten bremischer Rüstungsunternehmen und Repräsentanten politischer Parteien. Obwohl ihr Einfluss in den letzten Jahren abgenommen hat (wie der der Friedensbewegung insgesamt), hat sie sich dennoch kontinuierlich stark an der regionalen Konversionsdebatte beteiligt, in dem sie beispielsweise entsprechende Studien und Veranstaltungen organisiert hat.

Schließlich hat auch das bremische Wirtschaftsressort schnell auf die regionalisierten Statistiken zu den Rüstungsausgaben reagiert, die 1990 von der Bundesregierung erstmals veröffentlicht wurden. Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde eine Studie vom Wirtschaftssenator herausgegeben, in der Bremens Rüstungsabhängigkeit in Relation zu den anderen deutschen Bundesländern dargestellt wurde; ferner wurde ein umfassender Bericht zu den Abrüstungsfolgen und den Möglichkeiten einer regionalen Konversionsförderung in Auftrag gegeben (s. Elsner, Voss 1991, vgl. auch BAW 1991).

Dieser Abrüstungs- und Konversionsbericht von 1991 war bereits Teil eines gesellschaftlichen Prozesses, in dessen Rahmen Sitzungen stattfanden, an denen Repräsentanten bremischer Rüstungsunternehmen (sowohl der Arbeitnehmer als auch der Unternehmensführungen), die Arbeitnehmerkammern, Gewerkschaften und Mitglieder der Friedensbewegung teilnahmen. Arbeitgeberverbände und Industrie- und Handelskammer hatten an der früheren Konversionsdebatte nie partizipiert. (Es sollte noch einmal erwähnt werden, dass es in Bremen nicht nur eine Handels- und eine Handwerkskammer gab, sondern auch eine Arbeiter- und eine Angestelltenkammer, heute zusammengefasst als Arbeitnehmerkammer).

Ein weiterer Faktor waren die persönlichen Verbindungen zwischen Managern und Politikern, innerhalb der besonderen politischen, gesellschaftlichen, institutionellen und Kommunikationsbedingungen des Stadtstaates. Dieses erleichterte es den führenden Unternehmen, sich für eine Beteiligung an den Konversionsanstrengungen zu entscheiden.

Insgesamt lag also in Bremen nicht nur ein hoher Organisationsgrad gesellschaftlicher Interessen vor, die sich positiv auf die proaktive politische Einflussnahme auf den Konversionsprozess auswirkten, sondern es herrschte auch eine industriepolitische Debatte, insbesondere in Bezug auf Rüstungskonversion, die diesen Prozess förderte.

6.  Der wirtschaftspolitische Ansatz der Förderung von Rüstungskonversion

6.1   Grundannahmen

Bei der Rüstungsindustrie handelt es sich um einen Querschnittssektor bzw. ein sog. Cluster, das an unterschiedlichen Stellen der amtlichen Industriestatistik erscheint. Bei der Produktion von Systemen wie Schiffen oder Flugzeugen umfasst dieses viele unterschiedliche Zulieferer und Unterauftragnehmer, Dienstleistungsunternehmen sowie sogar (öffentliche oder halböffentliche) Betreiber spezieller infrastruktureller Einrichtungen. Ist ein solcher Querschnittssektor überdurchschnittlich stark in einer Region angesiedelt, so ist dies von zentraler Bedeutung für die Region, vor allem dann, wenn es sich, wie im Falle der bremischen Rüstungsindustrie, um einen High-Tech-Cluster handelt. Gerade dieses High-Tech-Cluster aber hatte traditionell nur in geringem Maße mit regionalen Zulieferern und anderen bremischen Unternehmen kooperiert. Dies lag zum einen an Geheimhaltungsvorschriften, denen die Rüstungsunternehmen in der Regel unterliegen, zum anderen aber auch an den spezifischen Qualitätsanforderungen der Rüstungsproduktion. Mit der Diskussion über die Konversion militärischer Produktionskapazitäten entstand daher auch die Möglichkeit der regionalen Re-Integration dieser Teile der regionalen Wirtschaft und die Frage nach ihrem Potential zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur.

Moderne Industriepolitik muss sich mit breit definierten und interdependenten sektoralen Komplexen, Querschnittssektoren oder Clustern auseinandersetzen (eine Definition und Diskussion dieser Konzepte erfolgt in Elsner 2000a). Wenn solche Cluster als besonders zukunftsträchtig für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region eingestuft werden können, also als Wachstumspol oder Schlüsselindustrie, dann sollte eine entsprechende industriepolitische Unterstützung entwickelt werden. Angesichts ihres technologischen Potentials und ihres Querschnittscharakters wurde die Rüstungsindustrie häufig, und nicht nur im Falle Bremens als Kern künftiger struktureller Entwicklung - und zwar in einem nicht-militärischen Kontext - betrachtet.

Konversion ist dabei als eine anspruchsvolle Form des gesteuerten Strukturwandels zu betrachten. Die Besonderheit hierbei ist, dass während der Umstrukturierung die technischen Fähigkeiten sowie organisatorischen und arbeitsbezogenen Zusammenhänge in der Region erhalten bleiben sollen. Die technischen, organisatorischen, humanen und ökonomischen Kapazitäten in Form der Unternehmen und Beschäftigten, werden also innerhalb der Region aufrechterhalten, d.h. Produktionsprozesse sollen weiter fortlaufen („Reparatur des Autos während der Fahrt“). Dies gelingt nur durch eine intensiv initiierte und durch eine öffentliche Rationalität unterstützte hochgradige Akteurskoordination.

Dennoch muss Konversion als Unternehmensstrategie mit anderen, aus Sicht der Unternehmen meist zu bevorzugenden, alternativen Strategien wie der Erhöhung des Anteils am schrumpfenden Rüstungsmarkt, Exportstrategien, Konzentration durch Unternehmenszusammenschlüsse, die Schließung von Unternehmensteilen und der Aufbau neuer an anderen Standorten oder einfach nur der „Strategie” des Abwartens und des „muddling through“ konkurrieren. Alle diese individualistischen Strategien bergen jedoch ein hohes Risiko mit potentiell hohen individuellen und sozialen Kosten für die gesamte Region in sich.

In der Tat sind individuelle Akteure (in diesem Fall Unternehmen) – insbesondere unter den Bedingungen eines plötzlichen Strukturwandels und der damit verbundenen starken Unsicherheit – häufig individuell - und vor allem kollektiv - blockiert („locked-in“), das heißt unfähig, einen progressiven Strukturwandel, der aus Sicht der Region und auch aus Sicht der Unternehmen vorteilhaft wäre, individuell oder kollektiv zu initiieren. „Märkte“ mit ihrer relativen Anonymität und Isolation der Akteure und Marktpreise transportieren nicht die notwendigen Informationen und Zukunftserwartungen, um die notwendige komplexere Koordination der Akteure in solchen problematischen Entscheidungssituationen herzustellen. Dies wird weiter unten eingehender diskutiert werden.

Folglich findet dieser progressive Strukturwandel, hier: Rüstungskonversion, nicht spontan oder automatisch statt. Er muss - eingebettet in bestimmte institutionelle Rahmenbedingungen, die herzustellen sind - initiiert und organisiert werden. Diese Rahmenbedingungen sind so zu entwickeln, dass sie helfen, diese Blockaden inividualistischen Handelns zu überwinden und Voraussetzungen und positive Anreize für ein komplex koordiniertes und kooperatives Handeln zu schaffen, das sowohl aus Sicht der Unternehmen als auch aus Sicht der Region von langfristigem strukturellem Interesse ist. Der öffentliche Akteur sollte dieses Ziel vor Augen haben: Indem er das tut, nimmt er die Rolle des Initiators, Beschleunigers, Stabilisierers und Mediators gegenüber den privaten Akteuren ein.

6.2   Entwicklung neuer institutioneller Arrangements und strukturpolitischer Instrumente

Das BKP wurde vor diesem Hintergrund von der Landesregierung 1992 beschlossen. Mit diesem Programm wurden neue institutionelle Arrangements und strukturpolitische Instrumente eingeführt, die bisher in der strukturpolitischen Praxis in dieser Form noch so gut wie nicht eingesetzt worden waren.

So wurde beispielsweise ein regionales Beratungskommitee („Beraterkreis Bremisches Konversionsprogramm“) gebildet, um die Umsetzung des Programms zu begleiten. In diesem Beraterkreis trafen sich die zentralen regionalen Akteure, die vom Konversionprozess betroffen und an der Konversionsdiskussion beteiligt waren, und es entwickelte sich ein Austausch zwischen Handelskammer, Angestellten- und Arbeiterkammer, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Repräsentanten der Universität und der Friedensbewegung, während Unternehmensvertreter (Vertreter der Geschäftsführung und des Betriebsrates jeweils eines Unternehmens) als Gäste eingeladen wurden. Innerhalb der acht Jahre nach seiner Gründung hat der Beraterkreis über 20-mal getagt.

Der Senator für Wirtschaft ernannte einen Konversionsbeauftragten, der die Sitzungen des Beraterkreises organisierte und moderierte, die betrieblichen Projekte koordinierte, die finanzielle Umsetzung begleitete, regelmäßige Berichte erstellte, Fortschreibungsentwürfe für das Programm erarbeitete und Kontakt zum Bundeswirtschaftministerium und zur EU-Kommission hielt.

Ferner wurde eine ressortübergreifende Steuerungsgruppe gebildet, die sich aus Repräsentanten des Wirtschafts-, Wissenschafts-, Umwelt- und Arbeitsressorts sowie der Senatskanzlei zusammensetzte und der der Konversionsbeauftragte vorsaß. Sie wurde von einem halböffentlichen Technologieberatungsunternehmen unterstützt, das für die technische und kommerzielle Evaluierung der betrieblichen Konversionsprojekte (Anträge, Monitoring, Abschlussberichte) verantwortlich war und dem Konversionsbeauftragten sowie der Steuerungsgruppe zuarbeitete.

Das Programm forderte auch die Etablierung betrieblicher Konversionsrunden, die sowohl aus Vertretern des Managements als auch aus Arbeitnehmervertretern bestehen sollte. Obwohl nur wenige Unternehmen dies tatsächlich umgesetzt haben, wurde von einem Großteil der Unternehmen zumindest ein betrieblicher Konversionsbeauftragter ernannt, der nicht nur mit der Unternehmensleitung, sondern in der Regel auch mit den Arbeitnehmervertretern und dem Bremischen Konversionsbeauftragten kooperierte.

Um den Unternehmen den Konversionsansatz zugänglich zu machen und ihn verschiedenen regionalen Akteuren als gemeinsame Strategie vor Augen zu führen, wurden im Rahmen des Konversionsprogramms weitere spezielle Instrumente etabliert. Hierzu gehörte die prioritäre Förderung von kooperativen und Verbund-Konversionsprojekten (gemeinsam mit anderen Unternehmen bzw. mit regionalen Forschungsinstituten) und integrierter Projekte, die Forschung&Entwicklung, Qualifikation, Marketing und Organisationsentwicklung verbanden. Auf diesem Wege wurde die mittelfristige Bereitschaft der Unternehmen, ihre Unternehmensstrategie zu ändern, gestärkt.

Ferner wurde ausdrücklich von jedem Unternehmen, das eine Förderung beantragte, ein sog. Mittelfristiges Konversionskonzept gefordert, um zu gewährleisten, dass der Konversionsgedanke sich längerfristig innerhalb der betrieblichen Produkt- und Organisationsstruktur verfestigt.

Außerdem wurden „weiche” infrastrukturelle Projekte, die ihre eigenen speziellen Planungsgruppen und Beiräte erhielten, entwickelt, um direkt kooperatives konversionsorientiertes Verhalten einzuüben und auch auf diesem Wege zur Realisierung mittelfristiger (struktureller) Konversionseffekte beizutragen. Ein Beispiel für solche speziellen Infrastrukturen ist die Gründung eines Transferinstituts, das sowohl eine Demonstrations- und Testanlage für eine Kläranlage beinhaltet als auch ein großes Umweltforschungsinstitut an der Universität. Hier können die ehemals militärischen Kernkompetenzen der bremischen Rüstungsindustrie im Bereich der Sensor- und Simulationstechnologie genutzt, weiterentwickelt und in den Bereichen Wasser- und Abwasseranalyse und -aufbereitung eingesetzt werden. Ein weiteres Beispiel ist die Gründung der West-Ost-Transfer-Agentur GmbH. Ihr Ziel ist die Nutzung der bremischen Konversionserfahrungen, die innerhalb der Unternehmen wie auf regionaler Ebene gesammelt wurden, zur Entwicklung kooperativer Konversionsprojekte zwischen West und Ost. Heute kann bremisches Konversions-Know-how als Dienstleistung exportiert werden.

Natürlich war die Konversionsförderung Bestandteil einer breiteren, und in finanzieller Hinsicht größeren, Förderung im Rahmen des WAP und des bremischen Investitionssonderprogramms. Während das BKP selbst finanziell ein eher kleines Programm war (insgesamt wurden über das BKP innerhalb von 10 Jahren ca. 25 Mio. EURO ausgegeben), waren viele, v.a. infrastrukturell ausgerichtete Konversionsprojekte verknüpft - oft allerdings in initiierender Funktion - mit anderen, größeren zivilen Projekten, wodurch sie wesentlich weitreichendere regionalwirtschaftliche Effekte nach sich zogen, als es die eher begrenzten Fördermittel des Konversionsfonds im Rahmen des BKP implizierten.

In der Regel wurde allerdings vorrangig indirekt koordiniertes, also paralleles Verhalten der individuellen Unternehmen bezüglich ihrer eigenen betrieblichen Produkt- und Organisationsentwicklung angeregt - statt direkt kooperativen Verhaltens im Kontext gemeinsamer infrastruktureller Projekte. Insgesamt war sowohl dieses indirekt koordinierte bzw. parallele Verhalten, das auf betriebliche Konversion abzielte, als auch das Networking (die direkte Koordination in kooperativen infrastrukturellen Projekten) bedeutsam, um die rein individualistisch ausgerichteten, isolierten und damit konventionellen und restriktiven Strategien und die damit verbundenen kollektiven Blockaden gegenüber einem progressiven Strukturwandel zu überwinden, das Unternehmenshandeln komplexer zu koordinieren und somit instrumentell mit dem strukturellen Interesse der Region an der Verbesserung der Wirtschaftstruktur zu verknüpfen. (Wir beziehen uns hier übrigens generell auf die bekannten Diskussionen über komplexe Koordination und kollektives Lernen von Kooperation in den sog. New Industrial Districts; vgl. bspw. Pyke, Sengenberger (Ed.) 1992, Grabher (Ed.) 1993, Simmie (Ed.) 1997, Elsner 2000a).

Das BKP ist daher auch eher in instrumenteller und institutioneller als in finanzieller Hinsicht relevant als Beispiel für eine Weiterentwicklung regionaler Industriepolitik. Bevor eine detailliertere Diskussion über die vor diesem instrumentellen und institutionellen Hintergrund entstandenen Prozesse sowie mögliche Schlussfolgerungen erfolgt, soll noch kurz auf bisher erzielte ökonomische Effekte eingegangen werden.

6.3   Quantitative Effekte

Seit 1992 wurden über 60 betriebliche Konversionsprojekte und mehr als ein Dutzend konversionsrelevante infrastrukturelle Projekte im Rahmen des BKP gefördert. Zehn der zwölf Unternehmen, die an der laufenden Erhebung zur Entwicklung der bremischen Rüstungsindustrie beteiligt waren, bezogen Fördermittel des BKP. Zusätzlich beteiligten sich einige Ausgründungsunternehmen und Beschäftigungsgesellschaften sowie individuelle Existenzgründer, die sich mit Konversionsprojekten aus Rüstungsunternehmen ausgegründet haben, an der Konversionsförderung. Sie alle machten zunehmend Umsatz und Gewinn mit Produkten, die durch das BKP gefördert wurden.

Insgesamt wurde die regionale industrielle Struktur, das Innovationspotential sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen deutlich verbessert. Die Unternehmen betraten verstärkt wachsende zivile Märkte und es bildeten sich zunehmend regionale Netzwerke.

Die laufenden statistischen Erhebungen zeigen, dass fast 1/3 der Rüstungsbeschäftigten, die zwischen 1992 und 2000 - statistisch gesehen - ihren Rüstungsarbeitsplatz verloren haben, durch innerbetriebliche Konversion in den zivilen Bereich überführt wurden (vgl. hierzu noch einmal Tabelle 5). Das bedeutet, dass fast 15% der rüstungsabhängigen Arbeitsplätze von 1990 bis zum Jahr 2000 konvertiert wurden (vgl. a. Tabelle 6).

 

 

1990-1993

1990-1999†)

Abnahme der Rüstungsbeschäftigung

in den befragten Unernehmen

 

20.7

 

48.7

Davon:

Entlassungen

Konvertierte Arbeitsplätze*)

 

9.9

10.8

 

34.0

14.7

davon:

Ohne öffentliche Förderung

Mit öffentlicher Förderung

 

7.5

3.3

 

12.4

2.3

Durch Konversionsförderung geschaffene Arbeitsplätze

0.8

0.8 (1.5)

 

Tabelle 6: Arbeitsplatzeffekte betrieblicher Konversion und der Konversionsförderung im Lande Bremen, 1. Jan. 1990 bis 31. Dez. 1999 (in % der Rüstungsbeschäftigten in der wehrtechnischen Industrie (laut Erhebung) am 1. Jan. 1990).

Quelle: Elsner 1996, S. 44, und Befragung aus dem Jahr 2000.

†) Zahlen beinhalten zwei große Konkurse, die bereits in Tabelle 1 erwähnt wurden. Eins dieser beiden Unternehmen hat sich intensiv an der Konversionsförderung beteiligt. Die Zahl in Klammern wurde errechnet um diesen Effekte zu berücksichtigen. Sie zeigt den Anteil neu geschaffener Arbeitsplätze durch die Konversionsförderung, wenn der Konkurs verhindert worden wäre.

 

In zehn Jahren und in Zeiten, in denen sich der Arbeitsplatzabbau im gesamten Verarbeitenden Gewerbe deutlich beschleunigt hat, wurden 30% der statistisch verschwundenen Rüstungsarbeitsplätze aktiv konvertiert. Hierdurch hat sich die Rüstungsabhängigkeit der befragten Unternehmen deutlich reduziert. Der Anteil der direkt rüstungsabhängigen Arbeitsplätze an der Gesamtbeschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe des Landes hat sich von 9% im Jahr 1989 auf 5% im Jahr 1997 reduziert (vgl. Bremer Senat 1998; Elsner, Salot 2002).

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Konversion auch von Unternehmen betrieben wurde, die sich nicht um Konversionsmittel beworben haben. Eine ehemalige Marinewerft beispielsweise hat ohne öffentliche Förderung die Hälfte ihres Produktionspotentials in nicht-militärische Märkte konvertiert. Hierzu zählen Luxusyachten und schnelle Fähren. In der Tat wurde ein Großteil der konvertierten Arbeitsplätze ohne eine direkte öffentliche Förderung umgewidmet (vgl. wiederum Tabelle 6).

Insgesamt war dieser industriepolitische Ansatz in dem Sinne erfolgreich, dass er einen beträchtlichen Anteil der Produktion, des F&E-Potentials und der Beschäftigung während der neunziger Jahre aufrechterhalten und in der Region halten konnte, der ansonsten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vernichtet worden wäre.

Während die Produktivität und der steigende Wettbewerbsdruck die Unternehmen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre dazu veranlasst hat, Entlassungen sowohl im zivilen als auch militärischen Bereich vorzunehmen (vgl. wiederum Tabelle 6), war das Ergebnis für die Region insoweit positiv, als (1) eine diversifiziertere, innovativere und nachhaltigere industrielle Struktur entstanden ist, (2) sich die Anzahl der Unternehmen stabilisiert hat und (3) sich die regionalen Netzwerkstrukturen verbessert haben.

So betrachtet hat Bremen in diesem Cluster in der Tat eine industriepolitische „high road“ gewählt, um auf die globalen industriellen Herausforderungen im Rüstungssektor zu reagieren, und nicht auf einfachere Strategien wie Steuervergünstigungen oder Lohnkostensenkungen und -subventionen zurückgegriffen. Aus diesen Gründen wird der Ansatz in der Tat als Beispiel für einen gesteuerten regionalen Strukturwandel herangezogen (vgl. u.a. BICC 1996, 135ff., id. 1998, 253ff., PREST 1998, 125f., Markusen, Brzoska 2000, Accordino, Elsner 2000).

7.   Theoretische Reflexion: Instrumente, Institutionen und Prozesse einer proaktiven Konversionspolitik

An dieser Stelle stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen dieser strukturpolitische Ansatz der Konversion zum Erfolg führt. Wann und warum sind (regionale) Unternehmen grundsätzlich bereit, sich in komplexerer Weise koordiniert und kooperativ zu verhalten und mit ihrem neuartigen, unter „normalen“ Umständen nicht erreichbaren Verhalten zugleich einen progressiven, gesteuerten Strukturwandel mit zu realisieren?

7.1   Probleme individualistischen Verhaltens: Echte Unsicherheit

Wie schon angedeutet reagieren Unternehmen nicht automatisch mit einer Diversifikations- oder gar Konversionsstrategie, wenn sie plötzlich mit drastisch schrumpfenden Märkten konfrontiert werden. Es herrschen dann typischerweise Bedingungen sog. „echter“ Unsicherheit, die mehr ist als kalkulierbares Risiko.

Die Rüstungsunternehmen waren in der Tat in den ersten Jahren dieses Prozesses in hohem Maße unsicher über die zukünftige Entwicklung des Rüstungsmarktes nach dem Ende des Kalten Krieges, und (zumindest in Deutschland) war eine zuverlässige mittelfristige Entwicklung des Verteidigungsbudgets oder aber eine zentralstaatliche Unterstützung irgendeiner Form von Umstrukturierung nicht absehbar. Unter diesen Bedingungen beschränkten sich die spontanen Reaktionen der Unternehmen darauf, abzuwarten und sich alle möglichen Optionen offen zu halten (dies schloss häufig typischerweise eine „dual-use-Strategie“ ein).

In den Fällen, in denen Rüstungsunternehmen im Alleingang zivile Märkte betraten, waren sie außerdem in der Regel mit dem Problem konfrontiert, dass diese Märkte (wobei es sich meist um Märkte für Umwelttechnologien, Transporttechnologien oder Kommunikationstechnologien handelte) bereits von effektiven, meist jungen kleinen oder mittelgroßen Unternehmen bedient wurden. Rüstungsunternehmen kamen daher häufig schnell in Schwierigkeiten, wenn sie versuchten, eigenständig auf neuen zivilen Märkten zu agieren. Dies erhöhte ihre Unsicherheit anfänglich noch.

Schließlich war die gleichzeitige Aufrechterhaltung militärischer und ziviler Produktion in vielen Fällen keine gangbare Strategie. Die Beibehaltung beider Produktionsbereiche ist in technischer Hinsicht und aus Kostengründen häufig suboptimal; Synergien können nur in eingeschränktem Maße erzielt werden, insbesondere dann, wenn die erforderlichen Organisationsstrukturen immer stärker voneinander abweichen. Folglich erreichen konvertierende Unternehmen häufig schnell einen Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen, ob sie ein Rüstungsunternehmen sein möchten, das auch in zivilen Bereichen tätig ist, oder ein primär ziviles Unternehmen, das auch Rüstungsprodukte herstellt.

Dies impliziert, dass das Verhalten der Unternehmen „unterdeterminiert“ war; aus Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Entwicklungen der sowohl zivilen als auch militärischen Märkte, aber auch als Ergebnis eines Mangels an Koordination. Dies entspricht einer „Überkomplexität” in ihrer Entscheidungssituation und wird in der ökonomischen Theorie als „echte Unsicherheit“ bezeichnet. Diese echte Unsicherheit erlaubt grundsätzlich völlig verschiedene Verhaltensmuster, während sie gleichzeitig aber in der Regel davon abhält, eine Handlungsoption zu wählen, die einen progressiven Strukturwandel einleitet.

7.2   Angebot verlässlicher mittelfristiger Unterstützung, um neue Handlungsoptionen zu eröffnen

Im Rahmen der Konversionsförderung wurde nun deutlich, dass die Unternehmen verlässliche, mittelfristige, koordinierende Unterstützung, die auf Umstrukturierungsplänen basiert und zwischen den Unternehmen und dem öffentlichen Akteur abgestimmt ist, unter bestimmten Bedingungen annehmen. Die bremischen Unternehmen waren in der Tat bereit, betriebliche Mittelfristige Konversionskonzepte zu erarbeiten und mit den Vertretern des öffentlichen Akteurs zu diskutieren. Obwohl das BKP ein finanziell kleines Programm war (s.o.), war es dennoch so ausgelegt, dass es mittelfristig zuverlässige Unterstützung anbot, die von den Unternehmen in Zeiten echter Unsicherheit nur zu gerne angenommen wurde. Insbesondere der Zeitraum zwischen 1990 und 1995 war ein solcher Zeitraum erhöhter („echter“) Unsicherheit für die Unternehmen des betroffenen Clusters.

In dieser Situation verhalf die zuverlässige koordinierte mittelfristige öffentliche Unterstützung den Unternehmen tatsächlich dazu, eine Änderung ihres Verhaltens einzuleiten: Die Unternehmen begannen, für sich einen progressiven Strukturwandel in Betracht zu ziehen, um weniger abhängig vom schrumpfenden Rüstungsmarkt zu werden und neue (zivile) Produkte für wachsende zivile Märkte zu entwickeln. Insbesondere wurde koordiniertes (bzw. paralleles) und direkt kooperatives Verhalten eingeleitet, um die regionalen Standortbedingungen für die Unternehmen insofern zu verbessern, als sie (1) um das „Mitziehen“ ihrer Wettbewerber, Zulieferer, Dienstleister und der öffentlichen Akteure wussten und (2) an der Verbesserung bestimmter gemeinsamer Standortfaktoren (der infrastrukturellen Projekte) beteiligt wurden und hier koordiniertes und kooperatives Verhalten direkt einüben konnten. Sowohl die koordiniert (durch paralleles Verhalten) verbesserte regionale Wirtschaftsstruktur als auch die speziellen infrastrukturellen Einrichtungen, wie die o.g. Transferagenturen, wurden als bedeutende regionale Faktoren für die zukünftige Entwicklung der Unternehmen erkannt. Dieser qualitative Aspekt war in diesem Ansatz offenbar wichtiger, als es der quantitative Umfang der finanziellen Förderung vermuten lässt (vgl. ausf. auch Elsner 1993, 1995, 2000b, 2001b).

7.3   Instrumentell-institutionell-prozessualer Nexus: Rahmenbedingungen und Anreize für kooperatives Verhalten

Der bremische Konversionsansatz hat Gebrauch von einem besonderen instrumentellen-institutionellen Arrangement gemacht, der durch eine spezifische Kombination von gemeinsamen Zielen, einer öffentlichen Diskussion, institutionalisiertem Networking und mittelfristiger finanzieller Unterstützung eine mittelfristige Sicherheit für die Unternehmen bei ihrer Erprobung neuer Verhaltensoptionen bereitstellt. Begleitet wurde diese Zusammenstellung durch regelmäßige Evaluierungen, Berichterstattungen und Kommunikation über die Umsetzung und die Effekte der Konversionsförderung.

Das gesamte instrumentell-institutionelle Arrangement scheint in der Lage zu sein, Unternehmen davon abzuhalten, eher individualistische Strategien zu verfolgen, und sie zu koordiniertem und kooperativem Handeln, das ihre eigenen mittelfristigen Interessen wie die strukturellen Interessen der Region befördert, zu veranlassen. Die individuellen Interessen können so instrumentell verknüpft werden mit der Verbesserung der gemeinsamen regionalen Standortfaktoren und den Interessen der Region als ganzem.

Während der ursprüngliche Markt der Unternehmen (in diesem Falle der nationale Beschaffungsmarkt) schrumpfte, hat der Zentralstaat keine zivilen Kompensationsmöglichkeiten oder Unterstützungen angeboten, die ihren Bedürfnissen gerecht wurde. Folglich sahen sich die Unternehmen mit einer großen Unsicherheit konfrontiert. Auf der anderen Seite hat die Region, unterstützt durch die EU-Strukturfonds, neue regionale strukturpolitische Ziele als Antwort auf den stattfindenden Strukturwandel definiert, wie beispielsweise das Ziel der industriellen Rüstungskonversion und der entsprechenden Modernisierung der regionalen Wirtschaftsstrukturen. Vor diesem Hintergrund gewann auch die regionale Dimension der betrieblichen Planungen und Handlungsoptionen plötzlich eine größere Bedeutung.

Da die Unternehmen bei ihren strategischen Überlegungen nun stärker die Belange der Region in Betracht zogen, wurde ihnen auch zunehmend bewusst, dass koordiniertes und kooperatives Handeln hilfreich ist, um ihren strukturellen Herausforderungen besser gerecht zu werden. So begannen sie in Betracht zu ziehen, neue, zivile Märkte durch (öffentlich unterstütze) koordinierte Konversionsstrategien und unter zuverlässigeren Rahmenbedingungen zu betreten. In der Folge kooperierten sie auch direkt, um ihre individuellen progressiven Anpassungen zu fördern, indem sie ihre gemeinsamen regionalen Standortbedingungen durch direkt kooperativ angelegte Entwicklung infrastruktureller Projekte zu verbessern. Sie entwickelten Vertrauen und Kooperationsroutinen, die neues, hoch effektives „tacit knowledge“ im Umgang miteinander entstehen ließ. Das neue (Konversions-) Verhalten wurde zur neuen, effektiveren Verhaltensregel (Institution).

Ihre erhöhte Unsicherheit und der Mangel an Koordination hatte die Unternehmen ursprünglich daran gehindert, sich spontan und individuell in dieser Form zu verhalten. Sie waren blockiert und befanden sich in einem Koordinations- und Kooperationsproblem bzw. in einem sozialen Dilemma. Und sie machten tatsächlich wiederholt die Erfahrung, dass durch individualistisches Verhalten nicht das gewünschte Ergebnis erzielt werden kann, wie es unter Rahmenbedingungen möglich ist, die ein proaktives politisches Umfeld schaffen kann. Der progressive regionale Strukturwandel ist offensichtlich ein kollektives Gut, das nicht spontan und individualistisch erstellt werden kann, obwohl es langfristig auch für die individuellen, privaten Akteure wünschenswert ist.

Sowohl theoretische Analysen als auch praktische Erfahrungen zeigen, dass ein proaktiver wirtschaftspolitischer Ansatz entwickelt werden kann, um diese Blockade zu beheben. Er nutzt dabei die Interessen der privaten Akteure an der koordinierten und kooperativen Lösung.

Hinsichtlich der Instrumente, die dabei einzusetzen sind und eingesetzt wurden, zeigen Theorie ebenso wie Praxis, dass zusätzlich zu den üblichen finanziellen Anreizen, v.a nicht-monetäre Anreize effektiv sind. Hierzu zählen beispielsweise verbesserte Informationszugänge oder öffentliche Anerkennung und verbesserte Abstimmung mit den Planungen der öffentlichen Akteure.

Schließlich hat sich herausgestellt, dass es von zentraler Bedeutung ist, die Zukunftserwartungen der privaten Akteure in dem Sinne zu beeinflussen, dass ihnen eine erhöhte Bedeutung der gemeinsamen Zukunft, also eine spürbar positive Wahrscheinlichkeit wiederholter künftiger Interaktionen mit den gleichen Akteuren, vom öffentlichen Akteur glaubhaft klargemacht wird (s. dazu ausführlich Elsner 2001b).

Es ergibt sich aus diesen sowohl praktischen Erfahrungen als auch theoretischen Erkenntnissen, die teilweise in der wissenschaftlichen Literatur seit längerem bekannt sind, ein „konsolidierter“ Set von zwei Komplexen von Instrumenten einer solchen „interaktiven“ Regionalpolitik. Tabelle 7 gibt einen Überblick über diese Komplexe und die ihnen zuzuordnenden tatsächlich eingesetzten Instrumente.

 

 

Eingesetzte

Instrumente

 

 

 

Adressaten

Änderung der Anreize

(Belohnung von Kooperation

der privaten Akteure)

Erhöhung der Bedeutung der gemeinsamen Zukunft

 

Öffentlich

Gesamte Ökonomie

(Repräsentiert durch

den wirtschafts-politischen Akteur)

(Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch verbesserte industrielle Strukturen)

Mittelfristige öffentliche Bereitschaft koordinierte und kooperative Umstrukturierung zu fördern

 

Förderung spezifischer oder cluster-orientierter Infrastrukturen

 

Förderung von Netzwerkbildung: Gründung eines Umstrukturierungsbeirats und Kommitees zur Entwicklung spezifischer Infrastrukturen;

 

Vermittlung zwischen privaten Akteuren, etc.

Privat:

Unternehmen

 

Förderung von F&E-, Qualifikation und Marketing

 

Bereitstellung verbesserter Informationen und Unterstützung bei Kooperationen mit Universitäten und Forschungsinstituten

 

Unterstützung verstärkter Koordination mit öffentlicher Planung

 

Erhöhung der öffentlichen Anerkennung

Gemeinsame Entwicklung mittelfristiger Umstrukturierungskonzepte;

 

Prioritäre Förderung von kooperativen Projekten;

 

Etablierung innerbetrieblicher Umstrukturierungsbeiräte und –beauftragte, etc.

 

Tabelle 7: Instrumente und Adressaten einer interaktiven Strukturpolitik – Überblick.

 

In diesem institutionellen und instrumentellen Rahmen scheint es möglich, dass Kooperation in klar definierten Problemfeldern zur einer sozialen Institution wird und durch öffentliche Unterstützung initiiert und stabilisiert werden kann. Das soziale Lernen von Kooperation ist wiederum am ehesten und effektivsten in kleinen oder mittelgroßen Gruppen möglich bzw. in meso-ökonomischen Plattformen wie der Region oder eines Clusters.

Die Bedeutung der gemeinsamen Zukunft der Akteure kann durch die Organisation regelmäßiger Treffen, die Durchführung paralleler oder sich überschneidender Projekte, durch die sich die betroffenen Akteure häufiger treffen, durch die Entwicklung langfristiger Perspektiven oder gegenseitige mittelfristige Verpflichtungen u.ä. erhöht werden. Diese Zukunftserwartungen verändern die gegenwärtigen Verhaltensweisen ausgesprochen sensibel und unmittelbar. Je mehr die Bedeutung der gemeinsamen Zukunft in den Vordergrund gerückt werden kann, desto niedriger müssen übrigens auch die finanziellen Anreize ausfallen. Auf diesem Wege können die privaten Akteure in mittelfristige „Commitments“ eingebunden werden, was wiederum eine erhöhte Sicherheit über das Verhalten der anderen beteiligten Akteure schafft. So werden sich alle Akteure zunehmend darüber bewusst, dass sie ihr Verhalten zugunsten eines übergeordneten Ziels, in diesem Falle der Förderung des Strukturwandels, verändern.

Es gab im Rahmen dieses interaktiven Politikansatzes eine Vielzahl von Instrumenten, die eingesetzt wurden, um eine spezielle Interaktion auch zwischen privaten und öffentlichen Akteuren anzuregen, die kooperatives und koordiniertes Verhalten zwischen privaten Akteuren ermöglichte: mittelfristige Konversionskonzepte, koordinierte betriebliche Projekte, kooperativ entwickelte Infrastrukturprojekte, mittelfristige staatliche Zusagen für diese Maßnahmen sowie ein regionales Beratungskomitee der gesellschaftlichen Akteure (zur „interaktiven Entwicklung” und „interaktiven Wirtschaftspolitik” s. ausf. Elsner, Huffschmid 1994, Elsner 2001a).

8.   Schlussfolgerungen

Die Erfahrungen mit dem BKP haben gezeigt, dass Blockaden zwischen privaten Akteuren, die gerade auch im Bereich Konversion/Diversifikation zu erwarten sind, grundsätzlich aufgelöst werden können. Dies erfolgt durch die Entwicklung und Etablierung eines speziellen institutionellen und instrumentellen Arrangements von Institutionen und Prozessen, die einen progressiven Wandel einleiten und aktiv managen. Eine Reduzierung der Unsicherheit und eine Stabilisierung der Erwartungen kann eine Veränderung des Verhaltens einleiten; neue Aktionsmöglichkeiten können eröffnet werden. Es wird möglich, interaktiv Kooperation zu erlernen, in komplexeren Formen der Koordination zugunsten der eigenen mittelfristigen Interessen zu handeln und so zu einem progressiven regionalen Strukturwandel beizutragen.

In diesem Zusammenhang können zahlreiche theoretische und praktische Aspekte diskutiert werden, von denen hier nur einige wenige genannt werden sollen: die Anforderungen an öffentliches Verhalten, die es dem Staat ermöglichen, als leistungsfähiger Gegenpart gegenüber im Zweifel mächtigen privaten Akteuren aufzutreten (wechselseitige mittelfristige Verpflichtungen, Verdeutlichung und glaubhafte mittelfristige Verfolgung der erklärten regionalen Strukturziele etc.), die fortgesetzte Effektivität von Netzwerken innerhalb ihres Clusters etc. (s. ausf. wiederum Elsner 2001b).

Im Rahmen eines proaktiven und interaktiven strukturpolitischen Ansatzes ist Konversion die angemessene Form eines gesteuerten industriellen Wandels, die bei einem plötzlichen tiefgreifenden Strukturwandel gefordert ist, um beträchtliche individuelle und soziale Kosten zu vermeiden. Die Erfahrungen der neunziger Jahre zeigen, dass grundsätzlich ein institutionell-instrumentelles Umfeld geschaffen werden kann, das einen gesteuerten progressiven Wandel zugunsten zivilerer Strukturen ermöglicht.

Nachbemerkung: Eine regionalpolitisch-klimatische Bedingung dieses Ansatzes und seines relativen Erfolgs - neben den bereits genannten Faktoren - bestand auch in einer gewissen „Aufbruchstimmung“ in Zeiten einer erstmaligen Regierungsbeteiligung der Grünen in einer sog. Ampelkoalition im Land Bremen (1992-1994). Die politische „Gegenbewegung“ ließ allerdings nicht lange auf sich warten und führte zur vorzeitigen Beendigung des politischen Aufbruchversuchs. Seitdem wurde Bremen von zwei aufeinanderfolgenden lähmenden Großen Koalitionen regiert, die die ideologische Fixiertheit auf einige wenige platte Formeln einer extrem „neo-liberalen“ „Sanierungs“-Strategie zum Prinzip erhoben hat. Diese werden seit acht Jahren gebetsmühlenartig wiederholt und sind anscheinend zunehmend resistent gegen jegliche Erfahrung, insbesondere gegen inzwischen schmerzlich gemachte Erfahrungen der kulturellen Lähmung und sozialen Zerstörung der Stadtgesellschaft - und sie sind nicht zuletzt auch resistent gegen Erfahrungen der regionalökonomischen und fiskalischen Unwirksamkeit und Kontraproduktivität der auf ihnen basierenden Strategie. Die Lähmungs- und Zerstörungswirkungen sind derart, dass es lange dauern wird, bis ein neues regionales Aufbruch-Klima möglich wird.

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