Hellmuth Lange, Ulrich Kraus,

Thomas Temme, Tanja Krämer

Der Europäische Aktionstag

„In die Stadt ohne mein Auto!“

Erfahrungen aus Frankreich, Italien und Spanien

1.  „In die Stadt ohne mein Auto!“ in Frankreich, Italien und Spanien

 

Abb.: Poster zum 22.9. und den "Ökosonntagen" in Italien: "Im Stau steckengeblieben? - Lass das Auto stehen und erobere dir die Stadt wieder" (imbottigliato heißt eigentlich "(in Flaschen) abgefüllt", aber eben auch "im Stau (feststeckend)").

 

Der Aktionstag In die Stadt ohne mein Auto! fand am 22. September 2001 in Frankreich zum 4. Mal, in Italien zum 3. Mal, in Spanien, Deutschland und knapp 30 weiteren Ländern zum 2. Mal statt. Initiiert hatte ihn 1998 das französische Umweltministerium als landesweites Pilotprojekt. Die Teilnehmerstädte verpflichteten sich dazu, tagsüber einen Teil ihrer Innenstadt für den motorisierten Personen- und Güterverkehr zu sperren und es der Bevölkerung zu ermöglichen, alternative Verkehrsmittel auszuprobieren und ihre Stadt ohne (eigenes) Auto zu erleben. Besondere Veranstaltungen und Aktionen, in der Regel mit thematischem Bezug, schaffen dabei für eine lockere und erlebnisorientierte Atmosphäre.

In Frankreich hatte der große Erfolg des ersten Aktionstags die Teilnehmerzahl im Folgejahr auf über 70 anwachsen lassen; außerdem schloss sich Italien mit über 90 Städten der Aktion an. Mit der Einrichtung einer europäischen Koordinationsstelle begann die EU- und schließlich weltweite Verbreitung der Initiative: 2001 beteiligten sich mehr als 1000 Städte in 33 Ländern. Unter ihnen sticht Spanien mit um die 200 Teilnehmerstädten hervor. Die Konzeption hat sich in verschiedenen Rahmenbedingungen einpassen können, ist dabei jedoch im Grunde stabil geblieben. Der Aktionstag In die Stadt ohne mein Auto! soll auch künftig jeden 22. September stattfinden und ist offensichtlich in zahlreichen Ländern und Städten bereits zur festen Einrichtung geworden.

2.  Ein europäischer Vergleich

Der vorliegende Beitrag basiert auf den Ergebnissen zweier Untersuchungen, die eine Arbeitsgruppe des artec unter Leitung von Hellmuth Lange im Auftrag des Umweltbundesamts durchgeführt hat[1]. Die Arbeitsgruppe analysierte Konzeption und Verlauf des europäischen Aktionstags in den erfolgreichsten Ländern Frankreich, Italien und Spanien über mehrere Jahre hinweg und verglich die Umsetzung unter den verschiedenartigen Rahmenbedingungen. Im Blickfeld stand dabei die nationale Ebene sowie je Land drei Beispielstädte: Nevers, Montreuil und Lyon in Frankreich, Grugliasco, Rom und Pescara in Italien sowie Zaragoza, Pamplona und Madrid in Spanien. Die Städte wurden so ausgewählt, dass sie in etwa das Spektrum unterschiedlicher Stadtgrößen, Problemlagen und Erfahrungen mit dem Aktionstag wiedergeben. Die meisten Städten haben den Aktionstag bereits mehrmals durchgeführt, Nevers und Montreuil seit Anfang an; mit Lyon war aber auch ein Neueinsteiger vertreten. Umwelt- und Verkehrsbelastungen variieren je nach Stadttyp: Vertreten sind große Agglomerationen mit Kernstädte (Lyon, Madrid, Rom) und Randgemeinden (Montreuil bei Paris, Grugliasco bei Turin), bedeutende regionale Zentren (Pamplona, Zaragoza und Pescara), industriell (Pescara, Montreuil) und ländlich geprägte Städte (Nevers). Unterschiedlich sind auch die politischen Mehrheiten (kommunistisch, rot-grün, konservativ und rechtspopulistisch) und die lokalen Akteurskonstellationen. Die wichtigste Datenquelle der Untersuchung waren Gespräche mit den nationalen Koordinator-/innen sowie Ortsbesichtigungen und Interviews mit den lokalen Verantwortlichen. Sie wurden von umfassenden Dokumenten- und Presseanalysen vorbereitet und ergänzt.

3.  Anlass und Grundidee des Aktionstags

Die Dominanz des privaten Pkw gegenüber allen anderen Verkehrsmitteln ist seit langem als Ursache vieler Probleme erkannt. Unter Abgasen, Lärm, Unfällen, Platzbedarf und Kosten der Automobilität leiden Gesundheit und Lebensqualität der Menschen, die historische Bausubstanz, die Funktion der Städte und die Tragfähigkeit der natürlichen Umwelt. In den untersuchten Ländern sind die Belastungen unterschiedlich stark ausgeprägt.

So hat die Massenmotorisierung in Spanien erst spät begonnen und ein vergleichsweise niedriges Niveau erreicht. Doch hat die enorme Dynamik der Verkehrszunahme die Anpassungsfähigkeit der Infrastruktur vielerorts überfordert: Gerade die dichten Innenstädte sind daher hohen Stau- und Abgasbelastungen ausgesetzt. In Frankreich leiden die Innenstädte ähnlich wie in der Bundesrepublik unter dem Pendelverkehr aus dem suburbanen Umland, stehen in ihrer Funktion zugleich aber unter dem Druck großflächiger Einzelhandelszonen in der Peripherie. Der verkehrsplanerische Nachholbedarf ist groß: Erst seit kurzem gibt es nennenswerte Eingriffe wie verkehrsberuhigte Wohngebiete, Fußgängerzonen oder Radwege. Ähnlich, aber verschärft stellt sich die Situation in Italien dar. Hinzu kommt aber noch ein gewaltiges Smogproblem, das Italien neben dem Klima vor allem der Tatsache verdankt, dass es im europäischen Vergleich die höchste Pkw-Dichte und den ältesten Fahrzeugbestand hat. Letzteres gilt auch für den öffentlichen Nahverkehr, der, falls vorhanden, in erster Linie auf Dieselbusse setzt. Die Gesundheit der Stadtbewohner und der Schutz der umfangreichen historischen Bausubstanz ist daher ein zentrales Thema im verkehrspolitischen Diskurs.

In allen Ländern hat es daher vielerlei Anstöße gegeben, das Wachstum der Automobilität einzudämmen und ihm umwelt- und stadtverträglichere Alternativen entgegenzusetzen. Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass die bisherigen Bemühungen weniger erreicht haben als erhofft: So wie Appelle an das Umweltbewusstsein nur eine Minderheit der Autonutzer zum „Umsteigen“ bewegen konnten, stoßen auch harte regulierende Maßnahmen (Verkehrsberuhigung, Parkraumbewirtschaftung, Straßenrückbau) an die Grenzen der Akzeptanz, weil sie zunächst als Einschränkung individueller Freiheit oder wirtschaftlicher Interessen wahrgenommen werden. Der theoretisch vielversprechendste Ansatz - die Erhöhung der Kostenwahrheit (z.B. durch Ökosteuern) - vollzieht sich in so kleinen Schritten, dass die geldwerten Vorteile für grundlegende Veränderungen des Verkehrsverhaltens noch nicht ausreichen.

Zumindest in der Bundesrepublik kommt ein weiteres, entscheidendes Problem hinzu: Im Laufe der verkehrspolitischen Auseinandersetzungen und ihrer politischen Instrumentalisierung durch Parteien und Lobbies ist die Verkehrspolitik heute ein „vermintes Gelände“ geworden. Diskussionen werden, selbst wenn es um eher unbedeutende Einzelmaßnahmen geht, von Reizworten bestimmt und versacken in ideologischen Grabenkämpfen: Die Auseinandersetzung um eine Radwegverlängerung auf Kosten zweier Pkw-Stellplätze gerät da schnell zu einer Debatte über die Zukunft des Wirtschaftsstandorts.

Der Aktionstag In die Stadt ohne mein Auto! möchte einer ökologischen und sozialen Verkehrswende nun mit einer neuartigen und komplexen Konzeption neue Impulse verleihen. Ähnlich wie bei verwandten Ansätzen wie dem Aktionstag Mobil ohne Auto oder den Projekten für autofreie Wohnquartieren ist die Grundidee des Aktionstags, die abstrakt-ideologische Verkehrsdiskussion wieder auf eine sachliche Ebene zu lenken und die Veränderungen erlebbar zu machen. Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass neue Maßnahmen und Konzepte nur dann durchsetzbar sind, wenn sie das Leben besser oder zumindest angenehmer machen. So möchten die Initiatoren autofreier Wohnquartiere zeigen, dass ein Leben ohne eigenes Auto einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten kann: Ruhe, weniger Abgase, das Gefühl, Kinder sicher draußen spielen lassen zu können, dazu die Flächen- und Kostenersparnis, weil Garagen und Stellflächen wegfallen. Die modellhafte und konzentrierte Umsetzung auf begrenztem Raum stellt dabei sicher, dass die Haushalte von ihrem Autoverzicht tatsächlich profitieren. Die Projekte erzielen wegen ihrer Oasenhaftigkeit selbst zwar kaum überlokale ökologische Verbesserungen. Breitenwirkung sollen sie aber dadurch entfalten, dass sie die Vorteile auch für andere Menschen sinnlich erfahrbar machen und ideologiegeleitete Debatten damit unterlaufen.

4.  Die spielerische Simulation macht alternative Verkehrsszenarien erlebbar

Eine ähnliche Strategie verfolgt auch der 22. September. Während andere Aktionstage oftmals eher den Charakter einer Werbekampagne oder einer politischen Demonstration haben, stellt der 22. September konkrete, realisierbare Maßnahmen in den Vordergrund. In einer Zone, die gemäß der europäischen Charta des Aktionstags mindestens einen Hektar je 1.000 Einwohner umfassen sollte, wird einen Tag lang das Szenario eines stadtverträglichen Verkehrssystems in der Realität durchgespielt und so für die breite Öffentlichkeit erlebbar. Wegen der zeitlichen Begrenzung kann diese Simulation dann auch im Herzen der Stadt, meist in der Altstadt stattfinden. Die Nutzungsmischung der Innenstädte ist dabei eine besondere Herausforderung, aber auch die besondere Chance: So lässt sich zeigen und erleben, dass und wie das ganze Spektrum städtischer Funktionen auch unter alternativen Verkehrsbedingungen stattfinden kann. Ähnliches gilt auch für das starre Festhalten an dem (anfangs wohl eher zufällig gewählten) Datum: Der 22. September fiel zunächst auf einen Wochentag, im Jahr 2001 auf einen Samstag und wird 2002 ein Sonntag sein. Auch dies zwingt die Beteiligten dazu, sich inhaltlich und organisatorisch ganz unterschiedliche Aufgaben wie der vorrangigen Bewältigung des Berufs-, Einkaufs- bzw. Freizeitverkehrs zu stellen.

Im wesentlichen läuft der Aktionstag überall nach dem in Frankreich entwickelten Schema ab: Die innerstädtische Zone ist – bis auf die üblichen Ausnahmefälle – von morgens bis abends für private Kfz und Wirtschaftsverkehr gesperrt; das ÖPNV-Angebot dagegen wird inner- und außerhalb z.T. deutlich verbessert (höhere Taktdichte, günstigere bis kostenlose Tickets, zusätzliche Linien, Leihfahrräder). Innovative Verkehrsangebote wie schadstoffarme Fahrzeuge, Elektrobusse, Fahrradstationen und Carsharing werden vorgestellt und können soweit möglich getestet werden. Auch ausschließliche Autofahrer sollen auf diese Weise animiert werden, die Verhaltensroutinen aufzubrechen und stadtverträglichere auszuprobieren. Kinder und Jugendliche erleben in eigens konzipierten Stadtrallyes bewusst verschiedene Aspekte des Stadtverkehrs. Mit Informationsständen und Ausstellungen wird auch die aufklärerische Schiene weiter gepflegt. Daneben sorgen aber Aktionen wie themenbezogene Preisausschreiben und Malwettbewerbe, Straßentheater, Fahrradparcours und Rollerblade-Rennen für den nötigen Fun-Faktor.

5.  Nicht gegen das Auto, sondern für die Stadt und ihre Bewohner

In erster Linie will der 22. September aber den Zugewinn an Lebensqualität ins Blickfeld rücken. Im Lauf der Zeit haben die Städte sehr kreative Möglichkeiten entwickelt, diese Qualitätsgewinne sinnlich erfahrbar zu machen. Die Ruhe und die Geruhsamkeit, die in der Zone herrscht, nehmen die Besucher in der Regel von allein wahr. Messwagen verdeutlichen die Verbesserung der Luftqualität, Rollerblade-Rennen auf der Fahrbahn die neue Bewegungsfreiheit. Auf geführten Stadtrundgängen entdecken Einheimische und Touristen Gassen, Fassaden und Perspektiven, die im üblichen Straßenverkehr untergehen. Auch Jongleure, Märkte und Halfpipes, die auf den ersten Blick wenig mit dem Thema des Tages zu tun haben, fördern die Wieder-Inbesitznahme öffentlicher Räume, deren Nutzung sonst durch Lärm, fahrende und parkende Autos beeinträchtigt ist.

Die Meinungsumfragen, die die nationalen Koordinierungsstellen und viele Städte im Anschluss an den Aktionstag durchführen, zeigen, dass diese Simulation durchweg eine gute Resonanz erzielt. Regelmäßig äußern sich 70-80 % der Befragten zustimmend, ein großer Teil befürwortet eine häufigere Wiederholung oder die dauerhafte Einrichtung getesteter Maßnahmen.

6.  Rückblick: Teilnahme in Frankreich, Italien und Spanien

Nach dem Regierungsantritt der rot-rot-grünen Koalition in Frankreich hat die grüne Umweltministerin Voynet den Aktionstag En ville sans ma voiture! als Modellversuch initiiert. Am ersten Aktionstag am 22. September 1998 nahmen 35 Städte teil. Seither ist das Datum zur festen Einrichtung geworden; die Teilnehmerzahl hat sich bei ca. 70 Städten eingependelt. Da zuletzt die Kommunalwahlen im Frühjahr 2001 sowie die Sicherheitsmaßnahmen nach den Anschlägen des 11. September einige Kommunen (darunter Paris) von der Teilnahme abhielten, wird für 2002 mit einer höheren Beteiligung gerechnet.

In Italien hat das damals grüne Umweltministerium das Konzept im Jahr 1999 aus Frankreich importiert. Erfahrung mit Innenstadtsperrungen gab es bereits – immer wenn es die Smogsituation erzwang. Der erste Tag In città senza la mia auto! startete mit 90 Teilnehmerstädten; im Jahr 2000 nahmen 160, im Folgejahr immerhin noch 100 Städte teil. Auch aufgrund der Verbindung mit kulturellen Themen (kostenlose Museen) war die Resonanz auf den ersten Aktionstag so positiv, dass sich die Regierung und viele Städte kurzerhand entschlossen, die Maßnahme öfter zu wiederholen. In Anlehnung an die autofreien Sonntag der 70er Jahre, die allerdings ganz anders begründet waren, entwickelte man die Ökosonntage (Ecodomeniche). Sie werden mit ähnlichen Bestimmungen wie der 22. September – allerdings an einem weniger umstrittenen Wochentag – etwa acht Mal im Jahr durchgeführt, in vielen Städten häufiger. Die Beteiligung ist ähnlich hoch wie am 22. September. Im Zug der EU-weiten Ausdehnung des Aktionstags im Jahr 2000 schloss sich dann das konservativ regierte Spanien an. Die Resonanz unter den Städten war sehr viel breiter als in Deutschland. Im ersten Jahr beteiligten sich 215, darunter 41 Provinzhauptstädte, mit einem deutlichen Schwerpunkt in Katalonien. Im Jahre 2001 waren es 187 Städte.

7.  Die wichtige Rolle der nationalen Koordination

Einen erheblichen Anteil am Erfolg des 22. September hatte offensichtlich die Gestaltung der nationalen Organisation und Koordination, genauer gesagt die aktive, öffentliche Rolle des Nationalregierung. In allen drei Ländern wird der Aktionstag in der Sache eindeutig und publizistisch klar sichtbar als Programmpunkt des Umweltministeriums präsentiert. Die so entstandene Legitimation und Verbindlichkeit hat die Akzeptanz des Aktionstags bei allen beteiligten Akteuren sicherlich erleichtert. Auch beachtliche Ressourcen werden bereitgestellt: In Frankreich und Spanien in Form von Personalkapazitäten und eines Budgets für PR-Material (Poster, Website, Broschüren) und externe Dienstleistungen (professionelles Design, Evaluation). In Italien erhalten die Teilnehmerkommunen zudem Kostenzuschüsse von der Nationalregierung.

Die konkrete Organisation passt sich in die Strukturen der einzelnen Ländern ein. In Frankreich spielt sie sich im wesentlichen zwischen der nationalen und der kommunalen Ebene ab. Die im Ministerium angesiedelte Koordinations- und Beratungsstelle hat sich, im Gegensatz zum traditionellen französischen Vorgehen auf eine koordinierende, beratende und dienstleistende Rolle beschränkt. Damit in den Kommunen nicht das Gefühl entstehen, der Aktionstag sei von oben oktroyierte, macht die Koordinationsstelle keine inhaltlichen Vorgaben, die über die Qualitätsstandards der europäische Charta des Aktionstags hinausgehen. Sie sorgt für die nationale Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, PR-Material, Internet-Plattform), organisiert pro Jahr zwei bis drei Vor- und Nachbereitungstreffen der Städte und Kooperationspartner und berät einzelne Städte. Das Ministerium und die befragten Kommunen loben das entstandene Netzwerk: Erfahrungen und gute Ideen verbreiten sich schneller von einer Kommune zur anderen, die lokalen Koordinatoren kontaktieren sich inzwischen direkt und unterstützen Neueinsteiger.

Neben nationalen und regionalen Behörden hat das Umweltministerium viele nichtstaatliche Partnerorganisationen gewinnen können. Dabei geht es weniger um Spenden oder konkrete Maßnahmen als um die ideelle Unterstützung, z.B. ein Logo auf dem Plakat oder eine positive Presseerklärung, oder Terminabsprachen: So konnten die „Woche des ÖPNV“ der ÖV-Unternehmen, die „nationale Pferdewoche“ der Reitclubs sowie die „Woche des Jugendsports“ auf den 22.9. gelegt werden, was auf lokaler Ebene zahlreiche gemeinsame Aktionen ermöglichte. Neben Umwelt-, Naturschutz- und Fahrradverbänden, Sportvereinen, ÖV-Unternehmen und der Bahn unterstützen in Frankreich auch Großunternehmen außerhalb der Umweltbranche den Aktionstag (Post, Telekom, Banken, Energie, Autoindustrie).

Sehr ähnlich ist der Aktionstag in Italien organisiert. Die nationale Koordination ist auch hier beim Umweltministerium angesiedelt und wird dabei von der nationalen Umwelt- und Energieagentur ENEA und den nationalen und regionalen Umweltbehörden unterstützt. Anders als in Frankreich gibt es bis auf eine Feedback-Veranstaltung keine organisierten Treffen der Teilnehmerstädte; die Abstimmung zwischen Ministerium und Kommunen findet weitgehend bilateral statt.

Während die meisten anderen Länder dem Beispiel Frankreichs und Italiens gefolgt sind, war das Thema der deutschen Bundesregierung, die sich mit der Ökosteuerdebatte ausgelastet fühlte, zu heiß. Die Koordination wurde einer nichtstaatlichen Organisation, dem Klimabündnis, übertragen. Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung könnte Spanien bieten. Auch dort spielt der Staat die treibende Rolle, allerdings hat man die Bedeutung der regionalen Ebene und der horizontalen Koordination erheblich erweitert. Alle zwei Monate tagt reihum in den Teilnehmerstädten ein technisches Komitee, das mit Vertretern der nationalen Koordination, der Provinzhauptstädte und autonomen Regionen besetzt ist. Es verknüpft die verschiedenen Verwaltungsebenen und kann Fragen der operativen Umsetzung des Aktionstag daher rasch und kompetent klären. Alle drei Monate tagt das Städteplenum, wo sich Vertreter der größeren Teilnehmerstädte zum Erfahrungsaustausch treffen. Die Sitzungen werden darüber hinaus für die Information und Motivation der Öffentlichkeit genutzt und daher möglichst pressewirksam inszeniert. Dazu kommt die Koordinationstätigkeit der Regionalregierungen, die zum Teil eine ähnliche Rolle spielen wie die nationale Koordination. So erreichten einzelne Regionen wie Katalonien mit Engagement und Geld eine breite Beteiligung ihrer Gemeinden.

8.  Organisation in den Städten

Voraussetzung für einen störungsarmen Verlauf ist eine intensive und überlegte Vorbereitung vor Ort. Schließlich müssen für den Pendelverkehr, den Liefer- und den Einkaufsverkehr, die Stellplätze der Anwohner, die Mobilität von Touristen jeweils spezialisierte Maßnahmen entwickelt und mit den Beteiligten abgestimmt werden. Auch zeigen alle Beispiele, wie wichtig eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit ist, die auch die Berufs- und Einkaufspendler außerhalb der eigenen Kommune erreichen muss. Ähnlich wichtig wie auf nationaler Ebene ist die formelle Rahmung. In den meisten Städten schuf ein Ratsbeschluss oder ein Passus in der Koalitionsvereinbarung Verbindlichkeit für Politik und Verwaltung; Pressekonferenzen des Bürgermeisters sorgen nach außen hin für Gewicht.

Weil Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligungsprozesse meist einen langen Vorlauf benötigen, ist der frühzeitige Beginn der Organisation ganz entscheidend. Innerhalb der Verwaltungen bildeten sich in der Regel Arbeitsgruppen mit den betroffenen Ämtern. Bei der Abstimmung mit den Bewohnern und Geschäftsleuten der gesperrten Zone und den lokalen Partnern wie Umweltverbänden, Schulen, Sportvereinen, Nahverkehrsunternehmen haben sich in den Großstädten thematische oder zielgruppenspezifische Arbeitsgruppen bewährt. Kleinere Kommunen kamen auch mit einer Arbeitsgruppe und bilateralen Gesprächen zurecht. Bei der Koordination hat sich gerade bei wiederholter Teilnahme personelle Kontinuität bewährt.

9.  Ideologische Grabenkämpfe? - die Bedeutung der politischer Konstellation

Die Beispiele aus den drei Ländern zeigen, dass die destruktive ideologische Aufladung des Diskurses in Deutschland nicht zwangsläufig aus dem Thema folgt. Zwar gibt es nach Aussagen der Beteiligten auch in Frankreich die verkürzte Argumentation „Wer Maßnahmen gegen das Auto plant, gefährdet die Wirtschaft“. Jedoch wird daraus in der Regel kein ideologischer Schutzschild, der eine lösungsorientierte Diskussion konkreter Probleme verhindert. Die umwelt-, stadt- und menschenverträgliche Weiterentwicklung der städtischen Verkehrssysteme ist dort kein ausschließlich „grünes“ Projekt, sondern schlicht die politisch-planerische Antwort auf ein erkanntes Problem. Während die Initiative zum Aktionstag in Frankreich und Italien von den rot-grünen Regierungen ausging, gab in Spanien die konservative Regierung Aznar den Anstoß. Auch der Regierungswechsel in Italien hatte keine Folgen für den Aktionstag; die rechtspopulistische Koalition unter Berlusconi stellte den Kommunen sogar mehr Mittel zur Verfügung. Ähnlich auf kommunaler Ebene: In Frankreich, besonders aber in Italien und Spanien beteiligen sich am Aktionstag zahlreiche Städte mit kommunistischen, bürgerlichen oder rechtspopulistischen Rathausmehrheiten. Insgesamt ist eher ein Zusammenhang mit dem Problemdruck als mit der politischen Konstellation zu sehen.

10. Kooperation mit dem „gegnerischen Lager“

Auch durch Kooperation mit Partnern außerhalb des klassischen Spektrums lassen sich ideologische Auseinandersetzungen im Vorfeld vermeiden. So gelang es der nationalen Koordination in Frankreich, als offizielle Partner des 22. September nicht nur ÖV-Unternehmen und Hersteller schadstoffarmer Fahrzeuge, sondern auch die Automobilkonzerne Peugeot und Toyota zu gewinnen. Deren Presseerklärungen, in denen sie zwar die „Bedeutung des Autos für Mobilität und Freiheit“, aber auch die Notwendigkeit betonen, die Rolle des Pkw in der Stadt zu überdenken, dürfte vielen „Standortdebatten“ den Wind aus den Segeln genommen haben. Ähnliches gilt auf lokaler Ebene, wenn eine Einbindung der Einzelhändler gelingt (s.u.).

11. Akzent und Tonfall der Öffentlichkeitsarbeit

Auf der anderen Seite legen die Verantwortlichen bei der Öffentlichkeitsarbeit großen Wert auf die inhaltlichen Akzente und den Tonfall. Einmal abgesehen vom Namen des Aktionstages, der in vielen bundesrepublikanischen Ohren sicher schon verdächtig nach Ökoterror klingt, vermeiden Presseerklärungen, Poster und Broschüren plakative, programmatische Formulierungen wie Verkehrswende oder autofreie Stadt. Statt dessen wirbt man für greifbar Ziele, für eine „lebenswerte“ oder „gemütliche“ Stadt. Der soziale Zweck des Aktionstags (Gesundheit, Lebensqualität, kulturelles Erbe) wurde in allen Ländern klar in den Vordergrund gestellt - selbst wenn, wie die Interviews vor Ort zeigten, den Verantwortlichen auch der Umweltzweck (Luft, Boden, globales Klima) sehr am Herzen lag. Das Signal lautet stets: Nicht gegen das Auto, sondern für die Stadt und ihre Bewohner findet der Aktionstag statt.

Um abwehrende Gefühle schon im Vorfeld zu vermeiden, betonen die Kampagnen in Text und Optik das spielerische, unverbindliche Element des Tages, den Probebetrieb, den Spaßfaktor. Exemplarisch sei das Motto von Lyon zitiert: Les Lyonnais jouent le jeu („Die Lyoner spielen mit/lassen sich drauf ein“). Der Erfolg belegt, dass sich so die Akzeptanz auch außerhalb der „grünen“ Ecke deutlich steigern lässt.

12. Umgang mit dem Einzelhandel

Die Beispiele aus Frankreich, Italien und Spanien zeigen den Einzelhandel fast überall als stärksten Gegner des Aktionstags. Während den Besuchern der Zone gerade die nicht monetären Gewinne an Lebensqualität aufgezeigt werden sollen, kommt es den Einzelhändler, die von der Sperrung betroffen sind, natürlich gerade darauf an. Zwar zeigt die Erfahrung in Deutschland, dass die Umsätze mit der Einrichtung einer Fußgängerzone in der Regel steigen [2] . Ob dies bei einem einmaligen Aktionstag wie dem 22. September jedoch genauso ist, hängt im wesentlichen von der Organisation des Tages (aber auch vom Wetter) ab. So schwankt die Resonanz der Einzelhändler zum Aktionstag von Stadt zu Stadt zwischen völliger Ablehnung und skeptischer Zustimmung. Interessanterweise hat sich vielerorts eine gute Kooperation mit der örtlichen IHK eingespielt, während die betroffenen Geschäftsleute selbst feindlich bleiben. Doch selbst wenn sich die lokalen Einzelhändler auch schwer zu Verbündeten machen lassen, kann es doch gelingen, den Widerstand mit sachorientierter Kooperation zu dämpfen. Voraussetzung ist eine frühzeitige Information und ernsthafte Einbindung in die Organisation. So ließ die Stadt Nevers die Händler über die Art der Veranstaltung mit entscheiden, die vor ihren Läden stattfinden sollten. Die erhofften Synergieeffekte zum eigenen Sortiment brachten einige Händler dazu, den Kinder-Malwettbewerb zu unterstützen und ihre Schaufenster als Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen.

13. Die Strategie des Routinebruchs und der erlebten Alternative zielt nicht nur auf die Bevölkerung

Wie angesprochen soll der Aktionstag einen Bruch der alltäglichen Verhaltensweisen herbeizuführen und eine niedrigschwellige, spielerische Möglichkeit zu bieten, Alternativen zu testen. Die Erfahrung der mehrmals teilnehmenden Städte zeigt, dass dieses Ziel nicht nur für die Bevölkerung bzw. die Besucher der gesperrten Zone relevant ist, sondern genauso für alle anderen Akteure: Furchtsame Kommunalpolitiker erkennen, dass die Sperrung bestimmter Gebiete für den Kfz-Verkehr keinen Aufstand hervorrufen muss, sondern der Qualitätsgewinn auch Begeisterung auslösen kann. Stadtverwaltungen, traditionell eher in Routine gefangen, erproben alternative verkehrliche Maßnahmen und neue Formen der ämterübergreifenden Zusammenarbeit. Einzelhändler erfahren, dass Fußgängerzonen die Kundschaft nicht vertreiben, und profitieren vielmehr von der neuen Attraktivität der gesperrten Zone. Langsam lassen sich damit auch die Vorbehalte der Skeptiker und Gegner abmildern oder in Zustimmung umwenden. Voraussetzung ist dabei natürlich, dass der Aktionstag gut vorbereitet ist und sich die Probleme in Grenzen halten.

14. Langfristige Perspektiven für den Aktionstag

Da eine einmalige Aktion den hohen Organisationsaufwand schwerlich rechtfertigt, ist die Frage nach den langfristigen Ergebnissen des 22. September besonders interessant. Bei der Untersuchung der mehrmaligen Teilnehmer wurde daher darauf geachtet, ob es gelingt, eine längerfristige Perspektive zu entwickeln oder ob sich der Aktionstag bei mehrmaliger Wiederholung einfach totläuft. Dabei ließen sich mehrere Varianten erkennen.

·          Variante 1: Zeitliche Ausweitung. In Italien hat es, wie beschrieben, eine Fortsetzung in Form der ökologischen Sonntage gegeben, mit der die Innenstadt-Sperrungen sich auf gewisse Weise etablieren konnten. Das ist in Frankreich bisher nur ganz vereinzelt passiert, obwohl sich die Bevölkerung laut Befragungen auch dort eine häufigere Wiederholung wünscht. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Ökosonntage als Light-Version des 22. September nicht Gefahr laufen, zu einer Alibiveranstaltung zu verkommen. Eine realistische Simulation alternativer Verkehrsverhältnisse kann unter sonntäglichen Bedingungen jedenfalls nicht stattfinden.

·          Variante 2: Räumliche Ausweitung. Dem Ziel der Charta zum Aktionstag 2001, die gesperrten Zonen auszuweiten, folgten besonders solche Städte, die bislang deutlich unter dem Richtwert der Charta geblieben waren (Madrid, Rom, Pescara). In Rom und Zaragoza wurden 2001 in Nebenzentren zusätzliche Sperrzonen eingerichtet. Auch in Lyon fordern die Bezirksbürgermeister für 2002 dezentrale Zonen; darüber hinaus plant die Stadt eine autofreie Verbindung zur Zone der Nachbarstadt Villeurbanne. Zwar zeigen solche Pläne den Erfolg des Aktionstags, werfen aber Probleme auf, da der Personalaufwand für die Sperrung überproportional ansteigt. Eine Alternative könnte sein, die Zonen je nach inhaltlichem Schwerpunkt des Aktionstags zu verschieben. So hat Pamplona am 22.9. 2000 die historische Altstadt, im Folgejahr zwei verkehrlich benachteiligte Außenstadtteile gesperrt. Lyon denkt darüber nach, am 22. 9. 2003, der wieder auf einen Werktag fällt, den Berufsverkehr zu thematisieren und das zentrale Büroviertel zu sperren. Diese Ansätze leiten über zur

·          Variante 3: Einbettung in verkehrs-/ stadtplanerische Entwicklungs­strategien. Eine weitere Möglichkeit, dem Aktionstag eine dauerhafte Bedeutung zu verleihen, ist am weitesten in Frankreich entwickelt. In den beiden langjährigen Teilnehmerstädten hat der Aktionstag die Funktion einer Meilenstein-Veranstaltung bekommen. Gezielt werden die Themen der Vorjahre aufgegriffen und die Fortschritte öffentlich bilanziert. Der öffentliche Diskussionsprozess erhält dadurch immer neue Impulse und soll mittelfristig zu konkreten Verbesserungen führen. Daher haben viele Städte den Aktionstag mit einem planerischen Prozess verknüpft. In Frankreich bieten dazu die kommunalen Nahverkehrspläne[3] Gelegenheit, zu deren Aufstellung größere Städte seit einigen Jahren verpflichtet sind. In den drei untersuchten Städten, die in puncto Stadt- und Verkehrsplanung allesamt als recht innovativ gelten, liegen solche Pläne entweder schon vor oder befinden sich in der Aufstellung. In Montreuil ist die verkehrspolitische Strategie zudem in ein langfristiges Umbaukonzept für Innenstadt eingebettet (ähnlich wie in Zaragoza in das Altstadtsanierungskonzept). Sowohl inhaltlich als auch organisatorisch hat sich ein interessantes Zusammenspiel mit dem Aktionstag entwickelt, da er sich in vielen Phasen in den Planungsprozess einbinden lässt (vgl. Abb.). Zunächst einmal lässt sich die interessierte Öffentlichkeit für Information und Partizipation nutzen. So hat Nevers, im Stil einer vorgezogenen Bürgerbeteiligung, die Vorstudie zum Nahverkehrsplan präsentiert und zur Diskussion gestellt. Zudem veranstaltete man eine Diskussionsrunde zur Situation des Fahrrads in der Stadt, deren Ergebnisse in den ein Radverkehrskonzept einfließen sollen.

Werden in der Folge aus den Ideen konkrete Planungen und Maßnahmen entwickelt, bietet der Aktionstag die Gelegenheit zum Test. Umgekehrt gewinnt durch die konkrete Perspektive der Simulation auch der Aktionstag. So verzichten Nevers und Montreuil bewusst auf eine Ausweitung ihrer Sperrzone, weil die aktuellen Zonen bereits den Gebiet entsprechen, die mittelfristig verkehrsberuhigt werden sollen (in Montreuil 250 ha). Während Besucher und Bewohner der Zone den Qualitätsgewinn erleben, proben Autofahrer, Polizei, Planer und Verkehrsunternehmen die neue Verkehrs- und Linienführung. Zahlreiche Städte haben Maßnahmen, die sich am Aktionstag bewährt haben, anschließend dauerhaft eingerichtet. Dazu gehören Fußgängerzonen, Einbahnstraßen, neue Buslinien, Park+Ride-Stationen, Fahrradparkplätze, ÖV-Spuren etc. Schließlich wird der festliche Rahmen des Aktionstags auch dazu genutzt, größere Maßnahmen pressewirksam einzuweihen.

Die Beispiele zeigen, dass sich der Aktionstag sehr gut in langfristige Planungs- und Entwicklungsprozesse einbinden lässt – als Illustration alternativer Szenarien, als Testfeld für innovative Maßnahmen, als öffentliche und öffentlichkeitswirksame Begleitung und Evaluierung des Planungsprozesses. Voraussetzung dafür ist aber, die inhaltlichen Akzente des Aktionstags streng auf die örtlichen Problemlagen auszurichten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb.: Organisatorische Einbettung des Aktionstags



[1] artec: Forschungszentrum Arbeit – Umwelt - Technik an der Universität Bremen. Die Untersuchungsergebnisse sind dokumentiert in: Hellmuth Lange (2001): „In die Stadt ohne mein Auto!“ – Beobachtungen zur konzeptionellen Umsetzung des Aktionstags in Frankreich. (=artec-paper Nr. 84) sowie Hellmuth Lange et al. (2002): Der europäische Aktionstag „In die Stadt ohne mein Auto!“ – Anlage und verlauf in 9 Städten Frankreichs, Italiens und Spaniens. (=artec-paper Nr. 91).

[2] Hatzfeld, Ulrich; Junker, R. (1992): Stadt ohne Autos – Handel ohne Umsatz? In: Der Städtetag 6/1992, S. 432-437

[3] Plan des déplacements urbains (PDU) – eigtl. „Stadtverkehrsplan“, ähnelt dem deutschen Nahverkehrsplan. In Frankreich sollen die Städte darin nicht nur Ziele für den öffentlichen Nahverkehr, sondern für alle Verkehrsmittel entwickeln.