Tilman Bracher

Ansatzpunkte zur integrierten Förderung des Fußverkehrs  

1.  Gehen und Verkehr 

Ist „Zu-Fuß-Gehen“ angesichts des hohen gesellschaftlichen Stellenwerts von „Mobilität“, verbunden mit immer schnelleren und preiswerten Verkehrsangeboten, und der Bedeutung der Kfz-Industrie überhaupt noch relevant? Wird nicht auch die Mobilität im fußläufigen Nahbereich überwiegend im Pkw zurückgelegt, das Verkehrssystem fast ausschließlich durch den Pkw bestimmt?

Das gegenwärtige Verkehrssystem führt gleichermaßen zur gesellschaftlich gewünschten Mobilität wie zu unerwünschten Belastungen. Steigende Motorisierungszahlen und die Wechselwirkungen von Zersiedelung und Verkehrswachstum bringen steigende Lärm-, Luftschadstoff-, Flächenbedarf und Kostenbelastungen für Verkehrsteilnehmer und die Allgemeinheit mit sich. Bewegungsmangel entsteht, weil Verkehr im Pkw zunehmend im Sitzen unternommen wird und die Verkehrsverhältnisse auf den meisten Straßen kaum zum Spazierengehen einladen oder erlauben, dass Kinder dort alleine spielen können. Die räumliche Entwicklung und die resultierenden Flächennutzungen bestimmen über die Entfernungsverhältnisse die mittel- und langfristigen ökonomischen Rahmenbedingen des ÖPNV und die Möglichkeiten, zu Fuß zu Gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren.

Zu Fuß unterwegs zu sein gehört zum alltäglichen menschlichen Leben. Weil sich Verkehrswissenschaften und Verkehrsplanung noch nicht sehr lange und auch nur am Rande mit dem „Zu-Fuß-Gehen“ befassen, zählt der Fußverkehr zu den „alternativen“ Verkehrsmitteln.

Unterschiedliche Begriffe für die Tätigkeiten zu Fuß lassen erkennen, dass Zu-Fuß-Gehen mehr ist als Verkehr, denn Menschen können zu Fuß bummeln, spazieren, laufen, rennen, wandern, verweilen, wandeln, trödeln, springen, stehenbleiben oder warten. Dabei kann man – also ebenfalls zu Fuß – auch reden, essen, hören, riechen, schauen und telefonieren. Die Ansprüche, die Menschen zu Fuß haben können, beschränken sich nicht nur auf verkehrstechnische oder verkehrsrechtliche Anforderungen bezüglich der Leichtigkeit und/oder Verkehrssicherheit. Daneben stehen Dimensionen wie Ästhetik, Blick, Licht, Raumgefühl, Geruch, Klima, Orientierung, Freifläche, Sicherheit oder Sauberkeit.

Im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln ist Zu-Fuß-Gehen kostengünstig, emissionsfrei, platz- und energiesparend und bewegungsfördernd. Aktuelle politische Leitbilder, beispielsweise die „Stadt der kurzen Wege“ und der Ansatz der „Nachhaltigkeit“, verbinden sich mit der Zielsetzung, dass möglichst viel Verkehr zu Fuß unternommen wird, um Belastungen für Straßen, Städte und Landschaften zu vermeiden, die sonst durch die hohe Zahl und die Nutzung der Autos verursacht werden. Kompakte, dichte Städte ermöglichen Nähe und damit kurze Wege zwischen den Einrichtungen, also Mobilität bei weniger  Verkehrsaufwand. Dicht bebaute Städte benötigen andererseits ein flächensparsames (das heißt stellplatzarmes) Verkehrssystem mit einem leistungsfähigen ÖPNV. Hier versprechen auch Fahrradverkehr und Fußverkehr den Kommunen Nachhaltigkeit und Effizienz, denn sie sparen Verkehrs- und Parkplatzflächen und der öffentlichen Hand die hohen spezifischen Investitions- und Betriebskosten von Pkw-Verkehr und ÖPNV.

Zum Fußverkehr gehören die außer Haus zu Fuß unternommenen Wege. Aus der Perspektive des Verkehrs wird Zu-Fuß-Gehen als Tätigkeit zur Ortsveränderung zwischen Quelle und Ziel beschränkt. Bislang wird Fußverkehr  in der Verkehrsplanung aber nur am Rande als eigenständiger Verkehrsträger anerkannt, sondern eher im Rahmen von Verkehrsberuhigung, Wohnumfeldverbesserung, Schulwegsicherung und Unfallverhütung berücksichtigt. Während sich Verkehrsangebote für den Fahrzeugverkehr mit weitgehend standardisierten, rechenintensiven Methoden planen und prognostizieren lassen, spielen beim Fußverkehr Fingerspitzengefühl, Durchsetzungskraft und Ortskenntnis eine große Rolle. Auch für die Politik erscheint der Gedanke der „fußgängerfreundlichen Stadt“ offenkundig bislang nur wenig attraktiv. Die seit Jahrzehnten laufenden Bemühungen, den Fußverkehr zu fördern, haben keinen großen Erfolg. Das „Zu-Fuß-Gehen“ im öffentlichen Raum hat auch keine starke Lobby; der Einfluss von Vereinigungen wie dem „Fußgängerschutzverein“ ist sehr begrenzt. Viele Einrichtungen, die von ihren Besuchern zu Fuß erreicht werden, beispielsweise „Geschäfte“ in Fußgängerzonen oder Stadtteilzentren, haben die Bedeutung des Fußverkehrs für ihren eigenen Betrieb offenkundig nicht erkannt. 

Die in den 1980er Jahren auf der Bundesebene begonnenen Bemührungen um eine zielgerichtete Förderung des Fußverkehrs beschränken sich auf die Forschung. So wurde das „Zu-Fuß-Gehen“ beispielsweise im Rahmen eines Modellvorhabens zur „flächenhaften Verkehrsberuhigung“, an dem sechs Städte beteiligt waren, zwischen 1980 und 1988 als eigenständiger Verkehrsträger berücksichtigt. Im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums wurde am Beispiel Münchens 1995 ein Leitfaden für den „Fußgängerverkehr im Umweltverbund“ entwickelt, aber darüber hinaus nicht verbreitet. Das laufende Modellvorhaben „Fußgänger- und Fahrradfreundliche Stadt“ des Umweltbundesamtes, das auf die Entwicklung von Konzepten, Maßnahmen und Strategien in mehreren Modellstädten zielt, befasst sich eher mit dem Radverkehr. Immerhin fand ein „1. Fuß-Botschafter-Treffen“ des Fußgängerschutzvereins als Fachsymposion „Fußverkehr im Umweltverbund“ unter Beteiligung von Bundesverkehrs- und Bundesumweltministerium im Oktober 2001 statt.

Im Jahr 2002 wird nun auch erstmals ein eigenständiges fußgängerbezogenes deutsches Regelwerk erscheinen, die EFA (Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen.

2.  Verkehrsstatistik des Fußverkehrs

2.1  Analyse der Verkehrsstatistik

Bereits aus der Verkehrsstatistik lassen sich Daten über Umfang und Bedeutung des Fuß­verkehrs gewinnen. Beispielhaft seien hier Angaben zur Häufigkeit, Dauer und Länge der zu Fuß und mit Fahrzeugen unternommenen Wege herangezogen. Nach Angaben der Europäi­schen Union zu den Anteilen der Verkehrsmittel an den Ortsveränderungen und am Verkehrs­aufwand innerhalb der EU dominiert zwar der Pkw-Verkehr. Der Anteil des Fußverkehrs beträgt jedoch 30–35 % aller Ortsveränderungen und etwa 3 % des Verkehrsaufwands (vgl. Tab. 1). Er liegt damit bezüglich der Ortsveränderungen klar auf „Platz 2“.

 

 

Ortsveränderungen
(Prozent)

Verkehrsaufwand in Per­sonen­kilometer (Prozent)

Luftfahrt

0,1

5

Eisenbahn

1

5

Bus / Straßenbahn / U‑Bahn

10

10

Fahrrad

5

1,5

zu Fuß

30-35

3

Privater Pkw

50

75

 

Tab. 1   Verkehrsmittelwahl in den 15 EU-Mitgliedsstaaten[1]

 

Die für Deutschland vorliegenden verkehrsstatistischen Daten lassen erkennen, dass seit Jahren immer weniger Ortsveränderungen zu Fuß unternommen werden, wogegen der Anteil der mit Fahrzeugen zurückgelegten Ortsveränderungen steigt (Abb. 1).

 

 

Abb. 1  Verkehrsmittelwahl (Anteile an allen Ortsveränderungen in Prozent) in Städten in den neuen und alten Bundesländern in Deutschland[2]

 

Die Entwicklung in den neuen Bundesländern Deutschlands, wo pro Kopf 1972 noch deutlich häufiger zu Fuß gegangen als gefahren wurde, folgt dabei der Entwicklung in den alten Bundesländern. Der erkennbare Rückgang des Fußverkehrs dürfte den Zusammenhang mit veränderten Stadtstrukturen und dem Aufschwung des Kfz-Verkehrs spiegeln. Das Potential der für den langsamen Verkehr geeigneten kurzen Wege sinkt durch die Ausdehnung der Städte, durch die steigende Pkw-Verfügbarkeit und durch sich wandelnde Mobilitätsbedürfnisse. Der Anteil der Wege, die zum Zufußgehen zu lang sind, steigt wegen der Zersiedelungsentwicklungen und Konzentrationsprozesse und der steigenden Motorisierung.

Deutliche Unterschiede bestehen bezüglich der Verkehrsmittelnutzung verschiedener soziodemografischer Personengruppen oder nach Altersgruppen, wobei sich auch hier durch die gestiegene Motorisierung Veränderungen vollzogen haben. Immer öfter haben jetzt auch Senioren und Kinder Möglichkeiten, mit anderen Personen im Auto mitzufahren oder verfügen über ein eigenes Auto. Abb. 2 zeigt die Dauer der von Personen unterschiedlicher Altersgruppen unternommenen täglichen Fußwege sowie die Fahrten mit Verkehrsmitteln (Pkw, ÖPNV, Fahrräder und Sonstige). Während Kinder und Senioren mit Fahrzeugen im Tagesdurchschnitt deutlich weniger lang unterwegs sind als die Menschen der dazwischen liegenden Jahrgänge, gehen alle Altersgruppen fast vergleichbar lange zu Fuß – nach den vorliegenden Daten zwischen durchschnittlich 16 und 23 Minuten pro Tag.

 

 

Abb. 2  Unterwegsdauer zu Fuß und mit Fahrzeugen je Person und Tag nach Altersgruppen in Deutschland 1995[3]

 

Ein Vergleich der Fußverkehrsanteile der Großstadt Berlin mit der „Fläche“ zeigt zunächst überraschend geringe Unterschiede zwischen Großstadt und Land. In Berlin waren 1998 22 % aller Ortsveränderungen Fußwege, der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) betrug 29 %, der öffentliche Verkehr hatte einen Anteil von 22 %. Eine zusammenfassende Darstellung zur Verkehrsmittelwahl in der „Fläche“ liegt seit 1994 mit einer Veröffentlichung des Verbands Deutscher Verkehrsbetriebe (VDV) vor. Die Analyse umfasst 19 ländliche Gebieten in Deutschland. Während der Fußverkehrsanteil mit 23 % etwa genau so hoch war wie in Berlin, wird auf dem Land deutlich mehr Auto gefahren als in Berlin (der MIV hatte zusammen 57 % Anteil), und deutlich weniger mit dem ÖPNV (7 %). Die Fahrradnutzung liegt in der Fläche dagegen mit 13 % etwas höher als in Berlin (10 %). (Abb. 3).

 

 

Abb. 3  Beispiele für die Verkehrsmittelnutzung in Berlin[4] und in der Fläche[5]

 

Betrachtet man jedoch die Einzeldaten der untersuchten „Flächen“-Regionen, so zeigen sich ganz unterschiedliche Verhältnisse. Zwischen den Regionen sind die Unterschiede bezüglich der Verkehrsmittelwahl sehr groß (Abb. 4).

 

 

Abb. 4: Verkehrsmittelwahl in 19 ländlichen Untersuchungsräumen, aus: Socialdata/VDV, a.a.O., 1994[6]

 

Die Anteile des Fußverkehrs schwanken in den betrachteten Regionen zwischen 14 % im Kreis Borken und 27 % in Lossetal/Nordhessen sowie im Landkreis Neustadt an der Aisch / Bad Windsheim. Im Umland von Schwerin, Rostock und Chemnitz wurden zum Zeitpunkt der Erhebung, kurz nach der „Wende“, sogar noch höhere Werte ermittelt. Der motorisierte Individualverkehr, insbesondere der Pkw, hat sich im ländlichen Raum zum Massenverkehrsträger entwickelt. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs an allen Wegen schwankt in der Fläche zwischen 3 % (Kreis Borken) und 10 % (Kreis Mettmann, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald), der Anteil des Fahrradverkehrs reicht von ebenfalls 3 % (Region Saar) sogar bis 32 % (Kreis Borken).

Die räumlichen Verflechtungen der Menschen und die auch daraus resultierenden Anteile des Fußverkehrs hängen stark davon ab, inwieweit „traditionelle“ ländliche Strukturen vorhanden sind, mit alteingesessener Bevölkerung, Versorgungsangeboten, Treffmöglichkeiten und Landwirtschaft. In den 19 untersuchten Regionen blieben über die Hälfte (57 %) aller Wege der Bewohner innerhalb der jeweiligen (Wohn-) Gemeinde („Binnenverkehr") (vgl. Abb. 5). Nur jeder sechste Weg (17 %) führt in das jeweilige nächste Stadtzentrum oder von dort zurück. In diesen Zentren sind sechs von sieben Wegen Binnenverkehr. Ein weiteres Fünftel der Wege beginnt am Wohnort und hat ein anderes Ziel („Quellverkehr“) oder beginnt woanders und hat ein Ziel am Wohnort („Zielverkehr“), und nur 6 % aller Wege beginnen und enden außerhalb des Wohnortes („Außenverkehr“).

Die räumlichen Verflechtungen korrespondieren wiederum mit den Unterschieden bezüglich der Verkehrsmittelwahl (Abb. 5). Im Binnenverkehr am Wohnort haben die unmotorisierten Verkehrsträger – sowohl in der Fläche als auch in den Zentren – relativ hohe Anteile, wobei Fußwege und Radfahrten auf dem Land sogar dominieren.

 


 

Abb. 5: Verkehrsmittelnutzung nach räumlichem Bezug[7]

 

Zwischen Fläche und Zentrum dagegen dominiert – sowohl für die Flächenbewohner, als auch für die Bewohner der Zentren – der Pkw. Diejenigen Personen, die aus dem Zentrum mit dem Pkw in die Fläche gekommen sind oder aus der Fläche ins Zentrum, bleiben dem Pkw auch für die dortigen Wege weitgehend treu.

Wer mit dem ÖPNV aus der Fläche ins Zentrum gekommen ist, geht dort eher zu Fuß. Während nur 4 % der Menschen vom Zentrum in die Fläche „zu Fuß“ gekommen war, unternehmen die aus dem Zentrum gekommenen Personen dort immerhin 20 % aller Wege „zu Fuß“.

2.2 Zwischen den Zeilen - verkehrsstatistische Missverständnisse

In der Verkehrsplanung hat sich eine klassische Vereinfachung etabliert, die den Fußverkehr besonders betrifft: Jede Verkehrsbeziehung einer Person zwischen einer Quelle und einem Ziel, genannt Ortsveränderung oder Weg, wird statistisch genau einem Verkehrsmittel zugeordnet („Hauptverkehrsmittel“). Zum Pkw-Verkehr werden also zusätzlich zu den Fahrten der Fahrer auch die Fahrten der Mitfahrer gerechnet. Zum Fußverkehr werden dagegen nur die Fußwege gerechnet, die von Anfang bis Ende vollständig zu Fuß waren, während die zu Fuß zurückgelegten Teilstrecken von Fahrten beispielsweise von oder zum Pkw-Stellplatz oder zu einer Haltestelle unberücksichtigt bleiben. Da die Verkehrswissenschaften noch über kein Instrument verfügen, das die außerhäusige Mobilität zu Fuß zuverlässig abbildet und den Fußweganteil – beispielsweise bei einer ÖPNV-Fahrt - zuverlässig identifiziert, ist es nur schwer feststellbar, wie viele Fußwege pro Tag tatsächlich unternommen werden.

Die Teilstrecken, bei denen für Ortsveränderungen zwischen A und B mehrere Verkehrsmittel genutzt werden, nennt man „Etappen“. In einer umfassenden Nachbearbeitung von Datensätzen aus verschiedenen Haushaltsbefragungen wurde ermittelt, wie viele „Etappen“ bei jeder Ortsveränderung zurückgelegt wurden, und wie lange und wie weit diese waren.[8] Die aufgrund fehlender Vergleichsdaten kaum interpretierbaren Ergebnisse zeigen, dass Etappen zu Fuß häufiger sind als Etappen mit Fahrzeugen. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die Fußwege von oder zur Haltestelle oder von bzw. zum Pkw als Etappen mitgezählt werden. Die in Abb. 6 dargestellte Auswertung zeigt, dass alle Altersgruppen häufiger zu Fuß gehen als mit Fahrzeugen zu fahren und – beispielsweise die Altersklasse zwischen 45 und 64 Jahren – bei jeweils 100 Ortsveränderungen 81 Etappen mit Verkehrsmitteln und 108 Etappen zu Fuß unternimmt.

Da außerhäusige Kurzwege nur schwer ermittelt werden können, innerhäusige Fußwege nicht mehr zum Verkehr gerechnet werden, und Fußwegetappen (das ist z. B. der Weg zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels) bei den Hauptverkehrsmitteln nicht mitgezählt werden, wird Fußverkehr allgemein unterschätzt.

 

 

Abb. 6  Etappen-Verkehrsmittelnutzung in Prozent der Wege je Person nach Altersgruppen in Deutschland 1995 nach Socialdata[9]

 

Welche Wirkungen die verkürzte und teilweise falsche Sicht der Verkehrsstatistik auf die Planungen für den Fußverkehr haben, wurde bislang wohl noch nirgendwo untersucht. Auch andere Faktoren, beispielsweise wann sich Menschen zu Fuß „wohl“ fühlen und gerne unterwegs sind oder welche Faktoren den „Erlebniswert“ des Zufußgehens beeinflussen, wurde kaum beforscht. Fundierte Methoden zur Beschreibung und zur Schätzung der Potentiale des Fußverkehrs liegen also nicht vor. Innerhalb der gebräuchlichen Verkehrsmodelle findet eine eigenständige maßnahmenbezogene Modellierung der Fußverkehrs nicht statt.

Bislang war es kaum möglich, aus der Zahl der statistisch bekannten zu Fuß zurückgelegten Ortsveränderungen Gehwegbelegungen abzuleiten und beispielsweise den verkehrstechnisch angemessenen Breitenbedarf einer Anlage abzuleiten oder die für eine Rolltreppe benötigte Kapazität zu bestimmen. Die bislang genutzte Datenbasis stammt aus Haushaltsbefragungen zum Verkehrsverhalten. Da sie nicht speziell zur Erfassung von Fußgängern entwickelt wurde, dürfte der ermittelte Fußverkehr eher unter- als überschätzt sein.

3.  Ansprüche an die Fußverkehrsplanung

Obwohl Infrastrukturen für Fußgänger nicht nur zur Ortsveränderung genutzt werden, sondern auch zum Aufenthalt, Warten, Bummeln, Kommunizieren, Spielen usw., liegen kaum differenzierte Daten über die Nutzungen und Bedürfnisse vor, und damit auch keine soliden Möglichkeiten, zu planen und die Qualität von Infrastrukturen zu beurteilen, soweit sie nicht rein verkehrstechnisch betrachtet werden.

So heterogen wie die Gruppe der Fußgänger ist, sind auch ihre Anforderungen. Sie unterscheiden sich nach Situation, Nutzungsstruktur, der gesellschaftlichen Prioritätensetzung und den jeweiligen Interessenlagen.

Die physische und soziale Entwicklung von Kindern wird gefördert, indem ihnen ausreichende Flächen für Kinderspiel im öffentlichen Straßenraum erhalten bleiben. Kinder sollten sich ungefährdet und unbeschränkt bewegen können. Sichere Bedingungen für die eigenständige Mobilität der Kinder zu Fuß vermeidet den Zwang zur Begleitung oder zum Chauffieren der Kinder durch ihre Eltern, wodurch auch das individuelle Zeitbudget der Eltern entlastet werden kann.

Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, weil sie sich mit anderen dabei unterhalten wollen, oder weil sie mit Kindern spielen und sich bewegen wollen, beispielsweise „Engele-Engele-Flieg“[10], brauchen Freiraum und Bewegungsraum. Menschen, die miteinander kommunizieren wollen, gehen lieber nebeneinander als hintereinander und belegen dann viel Platz, beispielsweise um zu dritt oder viert nebeneinander zu gehen.

Außerorts und an Durchgangsstraßen beeinträchtigt die enorm gestiegene Verkehrsbelastung die Nahmobilität zu Fuß. Viele in den vergangenen Jahren für den Kfz-Verkehr ausgebaute  Außerorts- und Durchgangsstraßen sind zu Fuß kaum noch überquerbar, und oft fehlen auch akzeptable Gehwege.

Die meisten Fahrgäste von Straßenbahn und Bus, und viele Benutzer von S- und Regionalbahnen kommen zu Fuß zur Haltestelle. Die öffentlichen Verkehrsmittel wären attraktiver, wenn Haltestellen besser erreichbar wären, man dort angenehmer warten könnte, und nicht über die Straße oder weite Wege zum Umsteigen hätte. Ein fußgängerfreundlicher Zugang zur Haltestelle beeinflusst die Gesamtreisezeit von Haustür zu Haustür und damit die Attraktivität des ÖPNV häufig ebenso stark wie die Beschleunigung der betriebstechnischen Abläufe und die Fahrgeschwindigkeit der Busse und Bahnen.

Autofahrer würden ihr Gefährt, das Fußgänger wiederum oftmals „stört“, eventuell häufiger stehen lassen oder weiter entfernt abstellen, wenn sie als Fußgänger mehr „Benutzervorteile“ hätten, schneller wären oder attraktiveres erleben können.

Für Behinderte schafft ein hindernisfreies bauliches Umfeld – d.h. ohne Hindernisse wie Treppen oder Stufen, die Behinderte erst als behindert in Erscheinung treten lassen – mehr Bewegungsfreiheit und Chancen für die Teilnahme am öffentlichen Leben. Die Vermeidung und Beseitigung von Barrieren erhöht zugleich den Gehkomfort für jedermann. Verbindungen und Abkürzungen durch Haus- und Blockdurchgänge ersparen Umwege.

Straßen sind nicht nur Fahrbahn, sondern Orte der Kommunikation, wo sich Menschen treffen, Geschäfte ihre Waren präsentieren und Veranstaltungen stattfinden. Einzelhandelskunden kommen zu Fuß in den Laden – in den Geschäftsstraßen ebenso wie in überdachten Passagen der „Center“. Maßnahmen für ein funktionierendes Stadtzentrum zielen auf gute Fußgängerbedingungen, auf das Stadterlebnis von gut gestalteten Straßen und Plätzen aus der Fußgängerperspektive. Wo viele Menschen zu Fuß unterwegs sind, blühen die Geschäftsumsätze. Fußgängerzonen erweisen sich als Magnet für Kauffreudige.

Eine anspruchsvolle, großzügige Gestaltung der Gehwege trägt bei Besuchern auch zum positiven Image bei und verbessert die Verbundenheit der Bürger mit ihrer Stadt und ihrem Stadtteil.

4.  Möglichkeiten der Verkehrsplanung  

4.1  Fußgängerverkehrsanlagen

Das Ziel, auch den Fußverkehr nach verkehrstechnischen Grundsätzen „leicht“ und „sicher“ zu gestalten, führt in erster Linie zu verkehrsplanerischen Aufgaben. Die Verkehrsplanung kann sich vor allem um verkehrstechnische „Benutzervorteile“ kümmern, damit Fußgänger schnell, leicht und bequem vorankommen. Dabei können bauliche und vor allem verkehrsrechtliche Maßnahmen eingesetzt werden.

Die Zusammenstellung planerischer, verkehrsrechtlicher und technischer Instrumente für spezielle Verkehrsanlagen für den Fußgängerverkehr wird im Jahr 2002 erstmals erscheinen und in eigenständigen „Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen“ (EFA) der FGSV enthalten sein. Die EFA enthält unter anderem folgendes Konzept: 

 

·          Entlang der Straßen sind für Fußgänger ausreichend breite Flächen zu schaffen, das heißt mindestens 2,50 m breite Fußwege oder verkehrsberuhigte Bereiche.

·          Es sind ausreichend Querungsmöglichkeiten einzurichten, entweder mit Querungsanlagen über die (Fahrbahn der) Straße, oder durch Verringerung und Verlangsamung des Autoverkehrs.

·          Kurze Wartezeiten an Lichtsignalanlagen,

·          Komfort durch Beleuchtung, Belag, Reinigung, Sichtachsen, Sauberkeit, Fußwegnetz,

·          Umfeldsicherung zu Stoßzeiten vor Autoverkehr (Schulen, Seniorenheime),

·          Gehhilfen (z.B. Rolltreppen und Aufzüge), bei Bedarf

·          und bessere Informationen (Leit- und Informationssysteme, Wegweisung).

 

4.2 Straßenverkehrsordnung

In der Straßenverkehrsordnung finden sich zahlreiche Einzelregelungen für den Fußverkehr, die dazu dienen, das Verhältnis Fußgänger – Fahrzeugverkehr zu regeln. In diesem Rahmen zählen verkehrsrechtlich in Deutschland auch radfahrende Kinder und Benutzer „sonstiger“ Fahrzeuge zu den Fußgängern, beispielsweise mit Inline-Skates, Rollstuhl und Kickboard.

In die Straßenverkehrsordnung gilt seit mehr als sechzig Jahren der Grundsatz des Vorrangs des Fahrzeugverkehrs gegenüber Fußgängern. Um dem Grundgedanken der StVO, der Verkehrssicherheit, jedoch gerecht zu werden, wurde der Schutz von Fußgängern in zahlreichen mehr oder weniger unbekannten Einzelregelungen festgeschrieben, – beispielsweise dem § 3 (2a) StVO: „Die Fahrzeugführer müssen sich gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist“.

Um die StVO zu „entrümpeln“ sollen künftig zahlreiche Verkehrszeichen sparsamer aufgestellt werden oder ganz entfallen. Der Fußgängerschutzverein Fuß e.V. befürchtet, dass weitere Restriktionen und Gefährdungen für den Fußverkehr entstehen, wenn die aktuellen Pläne zur Novelle der StVO umgesetzt werden und beispielsweise das Zeichen „Fußgängerüberweg“ entfällt.

4.3 Verkehrsberuhigung

Verkehrsberuhigende Maßnahmen sollen die Unfallschwere von Unfällen des Fahrzeugverkehrs mit Fußgängerbeteiligung reduzieren und die Qualität der Aufenthalts- und Spielmöglichkeiten im Straßenraum verbessern. Verkehrsberuhigte Bereiche unterstützen Kinder im direkten Schulumfeld und in Quartieren mit wenig zugänglichen Freiräumen für Kinderspiel. Zur Verkehrsberuhigung und zu mehr Aufenthaltsqualität und Sicherheit können sowohl bauliche wie verkehrsrechtliche Lösungen beitragen. Neben der verkehrsrechtlichen Anordnung verkehrsberuhigter Bereiche kommen auch die Einrichtung von Tempo-30-Gebieten und bauliche Anpassungen (Gehwegnasen, Aufpflasterungen) in Frage.

Auch außerorts und an anbaufreien Straßen sind fußgängergerechte Lösungen erforderlich. Zweckmäßig kann die Einrichtung von Aufenthalts- und Querungsstellen für Fußgänger sein, die Wahl ortstypischer Materialien oder Veränderungen der Verkehrsregelung. Ver­än­derungen an Durchgangsstraßen erfordern meistens einen Interessenausgleich zwischen örtlichen Ämtern und Bund bzw. Land oder Kreis als Baulastträger, der Straßenverkehrsbehörde in der Kreisverwaltung und oft weiteren Partnern. Außerorts können Feld-, Wald- und Deichwege die Mitbenutzung der Außerortsstraßen nicht ersetzen.

4.4 Querung von Fahrbahnen

Straßen können trennen und verbinden. Aus der Sicht von Fußgängern erweist sich die trennende Wirkung von Fahrbahnen als Problem von Leichtigkeit und Sicherheit. Eine fußgängerfreundliche Straßenraumgestaltung bedeutet, Querungsmöglichkeiten zu schaffen. Fußgänger benötigen an Einmündungen und anderen wichtigen Querungsstellen möglichst kurze und geschützte Überquerungswege. Problematische Einmündungen können durch fahrbahnverengende Bordführung und Baumtore in den Einfahrtsbereichen zu Tempo-30-Zonen auf das fahrgeometrisch notwendige Maß verengt werden. Um die Querungswege und die Fußgängerräumzeiten bei Lichtsignalanlagen zu verkürzen, sollten breite Fahrbahnen auf die für den fließenden Fahrzeugverkehr notwendigen Breiten reduziert werden.

Im Hauptstraßennetz kann der verstärkte Einsatz von Fußgängerüberwegen die Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs erhöhen sowie die verkehrsrechtliche Stellung von Fußgängern verbessern. Eine Fahrbahn an allen Stellen queren zu können, macht eine besondere Qualität der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum, z. B. in Geschäftstraßen, aus. Großer Bedarf besteht hier auch in den teilweise ländlichen Ortsdurchfahrten. 

Da sich der Querungsbedarf in Hauptstraßen nur selten auf wenige Stellen, wie sie z. B. bei der Anlage von Lichtsignalanlagen entstehen, beschränken lässt, sollten beidseitig genutzte Straßen „linienhaft“ überquerbar sein. Auch zwischen den gesicherten Querungsstellen sollten weitere lineare oder punktuelle Querungshilfen geschaffen werden. Beispielsweise kann in Hauptstraßen eine separate Straßenbahntrasse als lineare oder punktuelle Querungshilfe genutzt werden. 

Kleine Kreisverkehrsplätze, sog. „Kleinkreisel“, sind fußgängerfreundlich, da bei den geringen Fahrgeschwindigkeiten in dieser Knotenpunktsform Kfz-Lenker und Fußgänger besser auf einander reagieren können und so die Fahrbahnquerungen sicherer werden. Knoten, die vom Flächenzuschnitt, der Kfz-Menge und den stadtgestalterischen Anforderungen her für eine Umgestaltung zum Kleinkreisel in Frage kommen, sollen umgebaut werden. Ziel ist neben der Erleichterung und Sicherung der Fußgängerquerungen ebenso die Vermeidung langfristiger Folgekosten für Lichtsignalanlagen.

An Lichtsignalanlagen sollen die Wartezeiten möglichst kurz sein. Nur 20 sec Wartezeit werden von Fußgängern noch problemlos akzeptiert. Die Durchlassfähigkeit eines Knotens für den Kfz-Verkehr erfordert einen Kompromiss aus der Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs und der Durchlassfähigkeit für den Kfz-Verkehr. An bestehenden Anlagen sollten, um kurze Wartezeiten zu erreichen, die planerischen und technischen Möglichkeiten einer Rotzeitverkürzung für Fußgänger geprüft werden. Der Zielwert sollte 30 sec Wartezeit für Fußgänger betragen.

4.5 Gehwege

Gehwege sollen breit genug sein, um Fußgängern, die alleine oder zu mehreren gehen, ein bequemes Fortkommen und die Möglichkeit zum Aufenthalt zu bieten. Gut benutzbare Gehwege sollten beispielsweise auf direktem, kürzestem Weg verlaufen, keine Barrieren und Treppen haben, einen guten Belag, gut sichtbar, hell und freundlich liegen, steigungsarm sein, wenig Radfahrer und/oder Platz zum Ausweichen, keine „Störungen“ (parkende Hindernisse, Mülltonnen), wenig Querverkehr und eine verständliche Führung haben sowie vom Autoverkehr getrennt und gut sichtbar beleuchtet sein.

Durch eine geeignete Kontrolle des Parkens, durch die Einrichtung von Fahrradstellplätzen oder durch andere geeignete Maßnahmen (z. B. Lieferzonen) soll sichergestellt werden, dass die Gehwege in ihrer vollen Breite benutzbar bleiben und Fußgänger nicht durch abgestellte Fahrzeuge behindert werden.

Radfahrer sollten auf Gehwegen generell nur dort mit zugelassen werden, wo die Aufent­haltsfunktion gering ist (keine Geschäftsstraßen) und sowohl Fußgängerverkehr wie Radverkehr schwach sind. Unter besonderen Voraussetzungen (fehlenden Möglichkeiten für Radverkehrs­führung auf der Fahrbahn und ausreichend breiten Gehwegen) kann die Gehwegbenutzung für den Radverkehr - fakultativ oder mit Radwegbeschilderung - in Frage kommen.

Gehbehinderte machen - je nach Kriterium für diese Gruppe - bis zu einem Viertel der Bevölkerung aus. Zur besseren Integration sind unnötige Stufen, zusätzliche Treppen sowie steile Rampen zu vermeiden. Bestehende Hindernisse z. B. für Rollstuhlfahrer oder Fußgänger mit Kinderwagen sollen im Zuge von Erneuerungsmaßnahmen für durchgehend barrierefreie Fußwegenetze beseitigt werden. Die Anforderungen blinder und hochgradig sehbehinderter Fußgänger lassen sich durch geeignete Gestaltung der Gehwege (z. B. mit taktil wahrnehmbaren Trennlinien zu den Radwegen) berücksichtigen.

Für den Begegnungsfall in Straßen mit „nicht geringfügigem“ Fußgängerverkehr bemisst sich das störungsfreie Zu-Fuß-Gehen am Begegnungsfall eines Fußgängerpaars und eines einzelnen entgegenkommenden Fußgängers („Fall 2+1“), in Geschäftsstraßen am Begegnungsfall zweier Fußgängerpaare („Fall 2+2“). Dies führt zu wünschenswerten Breiten (entsprechend empirischen Werten des Flächenbedarfs) von 3,30 m bis 3,40 m.

5.  Integrierte Strategien

5.1  Akteursbezogene Konzepte

Die Förderung des Fußverkehrs erfordert von Verkehrsplanern ein integratives und kooperatives Verständnis, denn die Zahl der potentiellen Akteure, die darauf Einfluss haben, ob Menschen gerne „zu Fuß“ gehen, ist groß. Aufgaben bei der Förderung des Fußverkehrs liegen bei­spiels­weise im städtebaulichen Bereich und in der Zuständigkeit von Grundbesitzern und Archi­tek­ten, die Fußgängern und dem öffentlichen Raum mehr Platz einräumen können. Akteure sind Ver­kehrs­unternehmen, Polizei und Genehmigungsbehörden als „Anbieter“ und die „Ver­kehrs­teilnehmer“. Sie benötigen ein Bewusstsein fürs „Zu-Fuß-Gehen“, die Fähigkeit zum „richtigen“ Blick und vielleicht ein Anreizsystem bzw. eine „Belohnung“, um aktiv zu werden.

So hängt es beispielsweise von der Stadtplanung ab, wie gut sich Orte „begehen“ lassen. Die Wiederherstellung und Aufwertung öffentlicher Räume und attraktiver, zu Fuß begehbarer Flächen oder von Freiräumen erschließen Chancen für den Fußverkehr.

An den Zuständigkeiten für Fußgängerleitsysteme dagegen fehlt es vielerorts. Sie ermöglichen Orientierung – beispielsweise für Touristen und Ortsunkundige. Wegweiser und Orientierungstafeln enthalten vor allem innerstädtische Ziele und Bahnhöfe bzw. Haltestellen. Die meisten Städte verfügen nur über die zur allgemeinen Orientierung und zum Auffinden gesuchter Adressen in der Regel vorhandene Straßennamenkennzeichnung.

5.2 Langsamverkehr und „Umweltverbund“

Das für die Schweiz geplante Leitbild des „Langsamverkehrs“ zielt auf Identität und Akzeptanz der langsamen Verkehrsmittel und der Nahmobilität.[11] Fußverkehr ist – neben dem „Velo“ der wichtigste Verkehrsträger des langsamen Verkehrs. Der langsame Verkehr ist Ergänzung und Wettbewerber des schnellen Verkehrs, der motorisierten Verkehrsmittel, des Fernverkehrs.

Der langsame Verkehr integriert Nachhaltigkeit und städtebauliche und verkehrspolitische Leitbilder

 

·     Nachhaltigkeit durch geringen Ressourcenverbrauch

·     Verkehrsvermeidung, Verlagerung und verträglichere Abwicklung

·     Stadt der kurzen Wege.

 

Als Gegengewicht zum schnellen Verkehr, zum Fernverkehr, verspricht der Gedanke „Langsamverkehr“ die Vernetzung bekannter Ansatzpunkte, für die es bereits Akteure gibt: Schulwegsicherung, Inline-Skater, Radfahrer, Behinderte. Die Akteure sind in Verbänden organisiert, bei den Schulen und der Polizei. 

Der in Deutschland seit Jahren vertretene Kunstbegriff „Umweltverbund“ zielt darauf, die Alternativen zum Auto gemeinsam zu vermarkten. Aufgrund der großen Unterschiede der nicht motorisierten Verkehrsträger sowie des ÖPNV und weil die „Umweltdiskussion“ mittlerweile deutlich differenzierter verläuft, erscheint dieser Begriff eher überholt. Der Umweltverbund hat auch keine eigene Lobby – denn der ÖPNV und die nichtmotorisierten Verkehrsträger stehen im Wettbewerb um Flächen, Fördermittel und verkehrspolitische Priorität.

5.3 Die Verbindung von Fußverkehr und ÖPNV 

Im Verbund dagegen sind ÖPNV und Fußverkehr natürliche Partner. Die Kunden des ÖPNV gehen an der Haltestelle, im Bahnhof, im Fahrzeug und beim Umsteigen zu Fuß. Über 90 % der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel kommen als Fußgänger. Die Zugangs-, Abgangs- und Umsteigewege gehören zum Angebot des ÖPNV. Der ÖPNV hat viele Akteure: Verkehrsbetriebe, Aufgabenträger, Kommunen, Politik und Beschäftigte/Gewerkschaften sowie einige Fahrgastverbände. Bislang scheint das Grundverständnis der Akteure des ÖPNV allerdings mehr vom Betrieb der Fahrzeuge als von der Mobilität der Kunden geprägt zu sein. 

Maßnahmenfelder für eine wirksame Integration von Fußverkehr und ÖPNV sind beispielsweise

 

·     Integration der Fußwege in Leit- und Informationssysteme

·     Konzentration von Haltestellen und Ist-Informationen über den ÖPNV an den Knoten des Fußverkehrs (oberirdisch)

·     Aufwertung der Haltestellen

·     barrierefreier Übergang zwischen Fußnetz und Fahrzeug

·     kurze Umsteigewege

·     direkt erreichbare Eingänge zu Bahnhöfen

·     verkehrstechnische Integration der Fußwege zur und von der Haltestelle in die Lichtsignalsteuerung und in Beschleunigungsprogramme, um Fahrgastwartezeiten beim Zu- und Abgang zu vermeiden.

 

Gerade mit Blick auf den ÖPNV sollten Ortsentwicklung, Bauleitplanung und Verkehrsplanung integral betrachtet werden. Gemeinden sollten ihre Flächenentwicklung bahnhofsorientiert planen und die Potenziale des Schienen-Personennah­verkehrs (SPNV) fußläufig erschließen.

5.4 Fußverkehr, Fahrradverkehr und Inline-Skates

Da Fußgänger und Radfahrer häufig gemeinsam benannt und in Forschungsvorhaben, Konferenzen und Haushaltstiteln gemeinsam beachtet werden, stellt sich die Frage nach Synergien zwischen Fahrradverkehr und Fußgängerverkehr.  

Gemeinsamkeiten bestehen bezüglich der verkehrspolitischen Begründung der Förderung der beiden Verkehrsträger „Fahrrad“ und „Fuß“, 

 

·     um den Menschen durch attraktive Möglichkeiten zur Radverkehrsnutzung und/oder zum Zufußgehen mehr oder verbesserte Mobilität anzubieten,

·     um durch Verkehrsverlagerung und veränderte Aktivitätsmuster eine Entlastung vom fließenden und ruhenden Autoverkehr zu erreichen,

·     und dabei hohe Effizienz im Sinne von Wirtschaftlichkeit, Gesundheit (Verkehrssicherheit) und Umweltqualität zu verfolgen.

Hier gehören auch Inline-Skates, rechtlich sogar als Fußgänger eingestuft, einbezogen. Eine gemeinsame Beachtung bietet sich auch bei den institutionellen Rahmenbedingungen an (Finanzierung, Verkehrsrecht, Gewichtung bei Abwägungsfragen etc.). Die jeweiligen Verkehrsträger haben aber sehr unterschiedliche verkehrstechnische Charakteristika (Geschwindigkeit, Bewegungsraum und Abstellflächen, Reichweite, Kosten). Fußgänger gehören deshalb genau so wenig auf Radwege, wie Radfahrer auf Fußwege oder Inline-Skates auf Radwege oder auf den Gehweg.

6.  Ausblick

Die Förderung des Fußverkehrs im Rahmen der Verkehrsplanung hat gerade erst begonnen, und bislang keineswegs überall. Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte und gute Chancen zur Förderung des Fußverkehrs, wenn es gelingt, das Bewusstsein fürs „Zu-Fuß-Gehen“ zu steigern, und die bislang wohl eher beim Auto, in einigen Städten auch beim ÖPNV, liegenden Prioritäten zu verändern.

Literatur

T. Bracher u.a.: Fußgängerverkehr im Umweltverbund. FE 70461/94 des Bundesministerium für Verkehr. Berlin/München 1995.

T. Bracher u.a.: Fußgängerverkehr im Umweltverbund. Leitfaden für die kommunale Fußverkehrsplanung. Anlage zum Schlußbericht FE 70461/94 des Bundesministerium für Verkehr. Berlin/München 1995.

W. Brög: Kenngrößen für Fuß- und Fahrradverkehr. FE 77414/96 des Bundesministerium für Verkehr. München 1999.

Bundesamt für Strassen, Entwurf Leitbild Langsamverkehr vom 22.11.01. Bern.

FGSV, Arbeitsgruppe Straßenverkehr: Empfehlungen für den Fußgängerverkehr. Köln, Entwurf 2002.

Fuss e.V., Fachverband Fußverkehr Deutschland, Symposium Fußverkehr im Umweltverbund am 12./13.10.2001 in Berlin, Beiträge 1. Teil

B. Greuter, V. Häberli: Indikatoren im Fussgängerverkehr. Forschungsauftrag 45/90 des Eidgenössischen verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements, Bundesamt für Strassenbau. Zürich 1993.

B. Herzog-Schlagk: Mehr Verkehrssicherheit – weniger Verkehrszeichen. Hg. Fuss e.V., Berlin 2001.

ILS (Hrsg.): Fußverkehr. Eine Planungshilfe für die Praxis. Bausteine 24. Dortmund 2001.

VCÖ (Hrsg.): Sicher Zu-Fuß-Gehen in Stadt und Dorf. Wissenschaft & Verkehr 2/2001, Wien 2001.



[1]    Europäische Kommission, Passenger mobility, Fact sheets, March 1998, DG VII

[2]    Socialdata, Kenngrößen für Fuß- und Fahrradverkehr. Endbericht. Forschungsprogramm Stadtverkehr des Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. FE 77414/96, München 1999

[3]    Socialdata, Kenngrößen für Fuß- und Fahrradverkehr. Endbericht. Forschungsprogramm Stadtverkehr des Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. FE 77414/96, München 1999

[4]    Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Hg.). Nahverkehrsplan des Landes Berlin Fortschreibung 2000/2001 und 2004, Berlin, o.J. (2001)

[5]    Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und Socialdata GmbH, Nahverkehr in der Fläche, Köln 1994.

[6]    VDV und Socialdata 1994, a.a.O.

[7]    nach: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und Socialdata GmbH, Nahverkehr in der Fläche, Köln 1994.

[8]    Socialdata, Kenngrößen für Fuß- und Fahrradverkehr. Endbericht. Forschungsprogramm Stadtverkehr des Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. FE 77414/96, München 1999

[9]    ebd.

[10]   Dabei nehmen zwei rechts und links Zu-Fuß-Gehende Erwachsene ein Kind dazwischen an die Hand, und lassen dieses „fliegen“.

[11] Bundesamt für Verkehr, Entwurf Leitbild Langsamverkehr, Bern 2001